TODESSAAT
ihr Licht haben: blaues Licht, grünes und ein bisschen Rot. Noch während sie sich an ihn klammerte und sich ihm ganz überließ, ergoss er sich in sie und trug sie stöhnend durch eine Tür, die in die Zukunft führte.
Vor sich sah sie die davonjagende Zeit und den scharlachroten, leuchtenden Faden, der ihrem Körper entsprang. Lediglich ein ganz schwacher Blauschimmer lag darin. Karens und Harrys Fäden vermengten sich, umrankten einander nicht anders, als ihre Körper sich umschlangen. Harrys Faden war beinahe genauso rot wie der ihre.
Das sind unsere Lebenslinien, erklärte er ihr . Sie führen in unsere Zukunft. Er fuhr fort, indem er Faethor zitierte: Es ist eine ziemlich flotte Reise!
Ein ganz schön flotter Ritt!, entgegnete sie, auf dem Höhepunkt ihrer Erregung, und ein Schauer schüttelte ihren Körper. Einen Augenblick später fragte sie: Und was ist das Blaue?
Traveller, erwiderte er. Rein menschliche Wesen.
Dann kann es sich bei der Hand voll roter Linien nur um Wamphyri handeln! Überlebende in den Eislanden! Und die grünen müssen Trogs sein! Ich ... Ich habe noch nie solche Farben gesehen, so ein Leuchten! Selbst das hellste Nordlicht über den Eislanden ist nicht so hell wie das hier.
Harry knetete ihre Brüste und kam noch einmal, und wieder durchlief sie ein Schauer. Was da aus dir herauskommt, ist ja eiskalt.
Nein, warm. Nur verglichen mit deinem Innern ist es kühl. Du bist heiß wie ein Vulkan.
Das fühlt sich nur so an, seufzte sie. In Wirklichkeit sind wir beide kalt, Harry. Du nicht weniger als ich.
Wir sind Wamphyri, entgegnete er. Aber wir sind nicht untot. Wir sind nicht gestorben, im Gegensatz zu manchen anderen, die, nachdem sie infiziert wurden, erst sterben und eine Zeit lang im Grab ruhen, ehe sie wieder auferstehen. Natürlich hatte ich erwartet, kalt zu sein, die Lust der Wamphyri zu verspüren, ihre rohe, unbändige Gier nach Leben und jeder düsteren fleischlichen Erfahrung. Aber ich hatte nicht mit irgendwelchen dauerhaften Gefühlen gerechnet. Doch das hier ist etwas ganz anderes, viel mehr.
Für dich vielleicht, erwiderte sie, weil du erst seit kurzem ein Vampir bist. Andererseits ... vielleicht hast du recht. Das hier ist anders, als ich es mir vorgestellt habe. Die Alten Wamphyri waren Lügner, das weiß jedes Kind. Vielleicht haben sie ja auch in dieser Beziehung gelogen? Nicht fähig zu wahrer Liebe, haben sie gesagt. Aber ist das auch wahr? Oder waren sie einfach nicht fähig dazu, es zuzugeben? Ist es denn Schwäche, jemanden zu lieben, Harry? Und ist es ein Zeichen von Stärke, kalt und ohne Liebe zu sein?
Er drückte sie an sich, und sein Körper verschmolz mit dem ihren. Kalt?, knurrte er. Schwach? Nun, wenn das Schwäche ist, weshalb fühle ich mich dann so stark? Nein, ich schätze, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Die größte und dreisteste Lüge der Wamphyri war die, dass sie keine Liebe kennen. Sie kennen sie sehr wohl, sie hatten nur Angst, es sich einzugestehen.
Der Necroscope wusste, dass sie endlich die Wahrheit erkannt hatten. Seit jeher waren die Wamphyri dunkler Leidenschaften, Begierden und Taten jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens fähig gewesen. Doch nun hatten Karen und er in sich selbst dem ganz und gar entgegengesetzte, echte, einander verbindende Gefühle kennengelernt, die ebenso stark waren. Diesen Gefühlen freien Lauf zu lassen, konnte man nicht anders denn als Ekstase bezeichnen. Wie unerwartet, sonderbar und fremdartig ihre Liebe auch sein mochte, es handelte sich um wahre Liebe. Natürlich gehörte auch Lust dazu. Doch hatte es zwischen Mann und Frau je eine Affäre gegeben, in der die Lust keine Rolle spielte?
Als eine einzige miteinander verschmolzene Masse, als erstes halb menschliches Paar im wahrsten Sinne des Wortes miteinander vereint, rasten sie den in die Zukunft führenden Strom der Zeit entlang. Bis aus dem Nichts plötzlich ... ein neues Licht erschien ... ein unglaubliches ... loderndes ... alles verschlingendes ... goldenes Feuer! Zunächst hielt Harry es für eine merkwürdige, wunderbare Auswirkung ihrer körperlichen Vereinigung, doch es war mehr als das. Das laute, wie von einem großen Chor intonierte, auf ein und derselben Tonhöhe an- und abschwellende Ahhhhhh der Zukunft – das nicht im eigentlichen Sinne Klang war, sondern eine Reaktion des menschlichen Geistes auf das dreidimensionale Schauspiel der sich ins Unendliche erstreckenden Zeit – verwandelte sich innerhalb eines
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