TODESSAAT
Ansonsten scheint es ein ganz normaler Morgen zu sein.
»Nein, nicht ganz. Für dich bestimmt nicht.«
Ich habe mich bemüht, meine Hoffnung im Zaum zu halten, antwortete Jordans im Moment zittrige Totenstimme. Ich glaube ja immer noch, dass ich träume. Wir schlafen tatsächlich von Zeit zu Zeit. Hast du das eigentlich gewusst?
Der Necroscope nickte, beendete seine Vorbereitungen und nahm Jordans Urne in die Hände. »Ich war auch einmal ein körperloser Geist, weißt du noch? Und ich war vielleicht müde! Mentale Erschöpfung ist viel schlimmer als physische.«
Während er vorsichtig Jordans Asche zu den Chemikalien schüttete, herrschte Schweigen.
Dann meldete sich Jordan wieder: Harry, ich bringe vor Angst kaum ein Wort heraus!
»Angst?« Harry wiederholte das Wort beinahe automatisch, da er sich darauf konzentrierte, die Urne mit einem Hammer zu zerschlagen und die Scherben mit der Innenseite nach oben um das Häufchen Asche und Chemikalien herum zu drapieren, damit eventuell verbliebene Reste mitgerissen wurden, wenn er die Formel aussprach.
Angst, Aufregung – wie du es nennen willst ... Hätte ich noch einen Magen, würde ich jetzt kotzen!
Der Zeitpunkt war gekommen. »Trevor, du musst wissen, wenn es nicht richtig klappt – ach ...«
Ich weiß, was du sagen willst. Ich weiß schon Bescheid.
»Okay.« Harry leckte sich über die ausgetrockneten Lippen. »Also, fangen wir an!«
Die Beschwörungsformel ging ihm so leicht von den Lippen, als handle es sich um seine Muttersprache; dennoch lag ein Grollen darin, das sein Menschsein verleugnete. War er stolz auf seine Fähigkeiten? Mit Sicherheit, immerhin war es eine ungewöhnliche Leistung, die er da vollbrachte, und er war ein äußerst ungewöhnliches Wesen!
»Uaaah!« Der Schluss klang wie ein Fauchen. Einen Moment später wurde es durch einen Schrei wie in höchster Qual erwidert!
Der Necroscope trat zurück, als vor ihm roter Qualm aufstieg und den Kellerraum füllte. Wie die Rauchwolke eines Flaschengeistes quoll sie mächtig in die Höhe und breitete sich aus. Hervor taumelte – im Schmerz ihrer Wiedergeburt schreiend – die nackte Gestalt Trevor Jordans. Der Necroscope war zum Äußersten bereit, falls diese unnatürliche Geburt abgebrochen werden musste!
Einen Moment lang sah Harry fast nichts, dann lugte erst ein wild starrendes Auge durch den Qualm, dann ein verzerrter, offen stehender Mund, danach war der Kopf teilweise sichtbar. Teilweise?
Jordans Arme reckten sich nach Harry; die Hände bebten, vibrierten fast. Seine Beine gaben nach, und er fiel auf ein Knie nieder. Harry war zu Tode erschrocken, die Worte des Bannspruchs zur Auflösung der Gestalt lagen ihm bereits auf der Zunge. Doch dann ...
... verzog sich der Qualm, und Trevor Jordan kniete vor ihm.
Vollständig!
Harry sank auf die Knie nieder und umarmte ihn. Beide weinten sie wie Kinder ...
Dann war Penny an der Reihe. Auch sie glaubte zu träumen, konnte, mochte nicht glauben, was ihr der Necroscope in der Totensprache berichtete. Doch aus diesem Traum erweckte er sie rasch.
Sie fiel ihm weinend in die Arme, und er trug sie hinauf ins Schlafzimmer. Als sie auf dem Bett lag, sagte er ihr, sie solle erst einmal schlafen. Doch das war zwecklos, denn im Haus lief ein Verrückter herum, lachend und weinend zur gleichen Zeit. Trevor Jordan rannte hierhin und dorthin, knallte Türen zu, blieb stehen, um sich an den eigenen Körper zu greifen, um Penny zu berühren, Harry ... dann lachte er wieder, laut und verrückt, voller Glück, wieder am Leben zu sein!
Auch Penny drehte fast durch, als sie endlich begriff. Ein oder zwei Stunden lang herrschte blankes Chaos in dem sonst so friedlichen Haus. Penny griff sich einen von Harrys Pyjamas, zog ihn über und tanzte! Sie drehte Pirouetten, tanzte Walzer, Jive und was nicht alles! Harry war froh, dass er keine Nachbarn hatte.
Doch schließlich ließen die Kräfte aller drei nach. Harry machte reichlich Kaffee, danach fielen sie über die Küche her. Sie aßen alles, was greifbar war. Von Zeit zu Zeit sprang Jordan auf und umarmte Harry, dass dieser glaubte, seine Rippen müssten brechen. Dann rannte Trevor hinaus in den Garten und genoss den warmen Sonnenschein, anschließend hastete er zu Harry zurück, als sei dieser sein Anker. Penny brach in Tränen aus und küsste ihn. Das war ein gutes Gefühl für Harry. Und es brachte ihn ein wenig durcheinander. Selbst in diesem Zustand waren seine Gefühle und Lüste stärker als die
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