TODESSAAT
Boden auf, wo immer er hintrat, dampften aus seiner dunklen Kleidung hervor und ergossen sich mit jedem Atemzug aus seinem Mund. Lautlos ging er weiter. Seine Füße suchten beinahe automatisch den weichen Boden und traten unweigerlich zwischen die Stellen, an denen das Knacken dürrer Zweige ihn verraten hätte. Er spürte, wie der Wamphyri in ihm seine Muskeln dehnte und sich tiefer in seinen Verstand grub.
Es käme dem Ding gerade recht, wenn es hier und jetzt die Kontrolle über ihn gewänne und etwas anrichten könnte, was nicht mehr rückgängig zu machen war.
Bisher hatte er sein Fieber gut beherrscht. Natürlich war sein Zorn heißer aufgeflammt, die Depressionen tiefer geworden und seine Leidenschaft gieriger, aber insgesamt gesehen war da nichts gewesen, was er nicht unter Kontrolle gehabt hätte. Doch diesmal spürte er seinen Parasiten. Ihm war, als sei Paxton mit einem Mal der Brennpunkt all dessen, was in seinem Leben schief gegangen war, und auf diesen Brennpunkt vermochte er sich ganz und gar zu konzentrieren.
Eine Operation war notwendig.
Die kleine Nebelbank kroch vor ihm her, schob ihre wallenden Fühler um Paxtons Füße. Der Telepath saß auf einem Baumstumpf in der Nähe des Ufers, den Blick starr auf den dunklen Umriss des Hauses auf der anderen Flussseite gerichtet. Drüben drang Licht aus einem Fenster im ersten Stock. Harry hatte es mit Absicht brennen lassen.
Der Necroscope konnte es zwar nicht erkennen, doch Paxtons Miene war düster und angespannt. Der Gedankenspion hatte die Aura seines Opfers verloren. Er nahm an, dass Harry sich nach wie vor im Haus befand, aber den Kontakt hatte er trotz aller Konzentration verloren. Er fühlte Harrys Anwesenheit nicht einmal mehr.
Das hatte natürlich nicht viel zu bedeuten, denn Paxton war sich der Gaben Harrys bewusst. Der Necroscope konnte sich buchstäblich überall befinden. Andererseits mochte es durchaus von Bedeutung sein. Wer wusste schon, was Keogh wieder vorhatte.
Paxton schauderte, als habe ihn ein Gespenst berührt. Wie eine ungesehene Präsenz war es über das Wasser getrieben und hatte sich in der Stille des nebelverhangenen Ufers neben ihn gestellt. Nebel? Wo zum Teufel kam der denn her?
Er stand auf, blickte nach rechts und links und drehte sich dann vollends um. Keine fünf Schritte entfernt zog Harry sich lautlos wieder in die Dunkelheit zurück. Paxton wandte sich im Kreis, schauderte erneut, zuckte die Achseln und beobachtete weiter das Haus. Er langte in eine Tasche, holte einen lederumhüllten Flachmann hervor und nahm einen langen Zug daraus.
Beim Zusehen spürte Harry plötzlich, wie etwas Dunkles in ihm anschwoll. Es war stark, möglicherweise sogar stärker als er. Harry glitt vorwärts und kam direkt hinter dem ahnungslosen Telepathen zum Halt. Was für ein Spaß wäre es, jetzt Wellesleys Abschirmung fallen zu lassen und mit seinen Gedanken geradewegs auf Paxtons Hinterkopf zu zielen! Wahrscheinlich würde der ESPer vor Schreck in den Fluss springen!
Vielleicht drehte er sich auch noch einmal ganz langsam um und sah Harry hinter sich stehen. Falls er dann schrie ...
Das dunkle, fremde, von Hass angeschwollene Ding war in Harrys Hände geschlüpft und hob sie in Richtung von Paxtons Nacken. Aber es war auch in Harrys Herz, in seinen Augen, seinem Gesicht! Er spürte, wie es seine Lippen hochzog und die Zähne fletschte. Es wäre jetzt so einfach, Paxton zu packen und mit ihm ins Möbius-Kontinuum zu springen, um ihn dort zu entsorgen. Wo niemand ihn jemals finden würde.
Er musste nur noch die Hände um den Hals des ESPers schließen und ihn umdrehen wie bei einem Huhn.
Ahhhh!
Das Ding in seinem Innern sang ihm von Gefühlen, wie er sie noch niemals erahnt hatte. Eine enorme Erregung bemächtigte sich seiner. Ein Schrei durchhallte sein Innerstes und warf ein tausendfaches Echo: Wamphyri! Wam...
... Paxton schob den Ärmel seines Mantels zurück, um auf die Uhr zu blicken.
Das war alles: eine so alltägliche, natürliche Geste, dass der bedrückende Bann des Fremden, Dunklen gebrochen wurde. Harry fühlte sich wie ein Zwölfjähriger, der wie wild über der Toilette onaniert, während sein Onkel gerade an die Badezimmertür geklopft hat.
Er zog sich von Paxton zurück, beschwor ein Möbiustor herauf und taumelte hindurch. Zu spät bemerkte der Gedankenspion die Bewegung und wirbelte herum, doch er sah nichts als eine verwehte Nebelschwade.
Schweißgebadet verließ der Necroscope das Möbius-Kontinuum und
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