Todesschlaf - Thriller
gebracht hätte. Er erreichte damit höchstens, dass sich noch ein paar ihrer Gehirnzellen verabschiedeten und wahrscheinlich zu den Glassplittern auf ihrem Sitz hüpften.
»Suchen Sie doch selber.«
Sie hatte keinen blassen Schimmer, wovon er redete.
»He!«, rief eine alte Stimme in der Nähe. »Ist da drüben alles in Ordnung?«
Timmie hörte, wie der Kerl zum Heck ihres Wagens ging. »Rufen Sie die Polizei!«, brüllte er. »Da ist eine Betrunkene von der Straße abgekommen.«
Bei diesem Satz wurde Timmies Kopf schlagartig klar. »Betrunken?«, rief sie. »Ich bin nicht betrunken. Ich bin nicht betrunken!«, brüllte sie, damit, wer immer da draußen sein mochte, es hören konnte. Als ließe sich dadurch irgendetwas ändern.
»Wenn du dir selber einen Gefallen tun willst«, sagte der
Kerl ihr praktisch direkt ins Ohr, »dann schmeißt du diese Papiere weg. Und vergisst, dass ich jemals hier war.«
Das hätte sie auch getan, hätte sie nicht gesehen, wie seine Hand die Arbeitstasche durchwühlte, die immer noch auf dem Beifahrersitz lag. Hätte sie nicht das mit Gold eingefasste Katzenauge an einem Ring am kleinen Finger gesehen. An dem gebeugten kleinen Finger. An dem kantigen, bleichen, zerkratzten kleinen Finger. Timmie wusste nach nur einem Blick aus dem Augenwinkel, dass sie diesen fünften Finger jederzeit wiedererkennen würde. Aber sie sagte keinen Ton. Sie sagte nicht einmal etwas, als der Bauer schließlich an der Spitze einer Feuerwehr- und Polizei-Parade wiederkam. Sie wartete, bis man sie in ihre Notaufnahme gebracht hatte, wie ein gefangenes Reh auf einem Rettungsbrett festgezurrt und in die Deckenlichter blinzelnd.
»Die Ausdrucke!«, keuchte sie, als sie zu sich kam.
Natürlich. Die sorgfältig gehütete, streng geheime, alles enthüllende Liste mit Krankheitsdaten und Sterberaten, die im Verlauf der vergangenen Woche oder so wie ein Hockeypuck kreuz und quer durch die Gegend geschossen worden war. Sonst war nichts in ihrer Arbeitstasche gewesen, abgesehen von einer Ersatzstrumpfhose, aber falls dieser Kerl sie nur wegen ein paar benutzter Nylonstrümpfe von der Stra ße geschubst haben sollte, dann waren ihre Probleme noch größer als sie gedacht hatte.
»Bitte?«, sagte eine auf dem Kopf stehende Dr. Chang, während sie sich mit einem kugelrunden Mondgesicht über sie beugte. Ein Halloween-Mond, nur mit gerunzelter Stirn und freundlichem Blick und sehr, sehr viel jünger als sonst. Und die Kobolde, die Jagd auf Timmie machten, waren echt.
Timmie fing an zu zittern. »Nichts. Ist Barb im Dienst?«
»Mögen Sie mich nicht?«
»Ich liebe Sie, Chang. Ehrlich. Aber ich muss Barb unbedingt etwas fragen.«
»Sie hat zu tun. Und wir müssen Ihre Nackenwirbelsäule röntgen.«
»Meiner Nackenwirbelsäule geht es bestens. Ich muss jetzt aufstehen.«
»Nein. Nein, Sie bleiben hier. Wir röntgen Sie. Ganz ruhig.«
Na, prima. Eine Assistenzärztin im dritten Berufsjahr aus Peking, die sich genau wie ihre Mutter anhörte.
Jetzt kamen noch mehr Leute herein. Ein paar aus der Tagschicht und der Assistent mit dem tragbaren Röntgengerät und noch ein zusätzlicher Arzt. Dazu ein paar Streifenpolizisten in Schaftstiefeln, die versuchten, sich das Lachen zu verkneifen, als Timmie erzählte, dass ein Kerl in einem Bonneville und mit einem Ring am kleinen Finger versucht hatte, sie vom Highway 94 zu drängen. Timmie lag auf der Bahre, wurde von Minute zu Minute verspannter und gab alles, um so zu tun, als würde das, was soeben geschehen war, sie nicht im Geringsten belasten.
Vielleicht war der Kerl ja einfach nur ein Idiot gewesen. Vielleicht war es ihm auch egal gewesen, ob sie den Unfall überlebte oder nicht. Vielleicht hätte sie so oder so sterben müssen, wäre nicht dieser Bauer rechtzeitig aufgetaucht.
Aber das waren alles keine Dinge, die man sich durch den Kopf gehen lassen wollte, wenn man auf einem Krankenhausbett festgeschnallt war und sich nicht bewegen konnte, um die neuesten Erkenntnisse zu verdauen. Also lag Timmie zitternd unter derWirkung des Adrenalins und des verspäteten Schocks, den sie sich nicht eingestehen wollte, da und konzentrierte sich mit aller Macht auf die Gesprächsfetzen, die aus dem Flur an ihr Ohr drangen. Wodurch es ihr aber auch nicht viel besser ging.
»Na ja, das überrascht mich eigentlich nicht«, sagte jemand, nachdem er die Identität der neuen Patientin erfahren
hatte. »Wenn sie genauso fährt wie sie geht, dann müsste sie jetzt eigentlich ein
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