Todesschlaf - Thriller
der Eidechse spazieren. Trotzdem konnte es nicht schaden, nachzuschauen. Er war in Rekordzeit da und gab dem Porsche die Schuld daran.
Es war still im Haus. Ein hübsches Plätzchen, umringt von Blumen und mit einer Eingangsterrasse, deren oberste Stufe knarrte. Das wusste er noch von jenem Abend, an dem er mit einem Bauchklatscher auf Learys Fußboden gelandet war. Schon verblüffend, wie sehr sich das Innere dieses Hauses vom Äußeren unterschied.
Doch es sah alles so aus, wie es sein sollte. Weder Feuerwehrautos noch besorgte Nachbarn. Nichts weiter als eine hübsche, von Bäumen gesäumte Straße, auf der nachmittags die Kinder spielten. Murphy knallte die Tür seines Porsche zu und trottete die Stufen empor. Er rechnete damit, dass Leary ihm jeden Augenblick mit einem Handtuch oder so in der Hand entgegenkam.
Er klingelte und wartete.
Nichts.
Aber irgendetwas regte sich im Inneren. Eine Flöte? Nein, der Klang war nicht ganz so voll wie bei einer Flöte. Aber hübsch. Sanft und betörend. Sie hatte wohl eine CD aufgelegt, auch wenn ihm nicht klar war, wie sie an eine Blasinstrumentaufnahme von Samuel Barbers »Adagio für Streicher« gekommen sein konnte.
Er klingelte noch einmal. Und noch einmal. Keine Reaktion.
Da stimmte doch etwas nicht. Es spürte dieses gewisse Jucken im Nacken und das übermächtige Bedürfnis, sich aus dem Staub zu machen, bevor er auf der anderen Seite dieser Tür irgendeine schreckliche Entdeckung machen musste. Also tat er, was jeder Journalist mit einem Minimum an Selbstachtung in diesem Fall getan hätte. Er drehte am Türknauf.
Und, ganz wie im Film, ging die Tür auf.
»Leary?«
Nichts.
Es war jemand hier. Das konnte er spüren. Er hielt bereits den Atem an und wollte am liebsten auf Zehenspitzen gehen. Die Flöte oder was es sein mochte verstummte. Der Klang war von oben gekommen.Ansonsten war es totenstill im Haus. Keinerlei Anzeichen eines Kampfes. Der Schaumstoffball hing schon wieder nicht an seinem Deckenhaken, aber Murphy konnte sich gut vorstellen, dass das hier öfter der Fall war.
»Leary?« Vorsichtig stieg Murphy die Treppe hinauf.
Sie knarrte auch, was seinen Herzschlag nicht unbedingt verlangsamte. Oh Gott, wie er solche Sachen hasste. Er hatte schon zu oft den Schauplatz eines Verbrechens betreten, und fast immer war er vom Opfer mit weit aufgerissenen Augen begrüßt worden, als wäre es selbst noch ganz überrascht von dem Geschehen.
»Leary? Sind Sie hier oben?«
Nachdem er drei Viertel der Treppe zurückgelegt hatte, sah er sie.
Sie lebte. Saß im ersten Zimmer zur Linken auf einem alten Mahagonibett. Zerzaust und blass und mit einem rosafarbenen Jogginganzug bekleidet, so saß sie im Schneidersitz da wie ein Punk-Buddha auf einem Flohmarkt.
»Was, zur Hölle, ist denn los mit Ihnen?«, wollte Murphy wissen und versuchte mit aller Macht, sein rasendes Herz zu beruhigen. Irgendwie rechnete er immer noch damit, dass gleich ein Waffen schwingender Wahnsinniger auftauchte, der sie gewaltsam in diesem Zimmer festhielt.
Sie rührte sich nicht. »Ich hätte die Tür abschließen müssen.«
Sie war viel zu ruhig. Ihre Körpersprache passte überhaupt nicht zu ihr. Angespannt und zusammengekauert, und ihre Finger tippten auf etwas in ihrem Schoß herum wie auf einer Schreibmaschine. Murphy hatte denVerdacht, dass sie in diesem Jogginganzug auch geschlafen hatte. Am Fußende ihres Bettes standen ein versiegelter brauner Beweismittelbehälter und ein Telefon, das einen offenen Dreiklang dudelte. Das versprach kompliziert zu werden, und dabei hatte er noch nicht einmal gefrühstückt. Er nahm die letzten Stufen und ging in ihr Zimmer.
»Was ist denn los?«, sagte er.
»Ich bin aus der Übung«, erwiderte sie mit seltsam zarter Stimme und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Ding, das sie in ihrem Schoß hin und her drehte. »Ich habe vergessen, wie es weitergeht.«
Sie war viel, viel zu ruhig.
Dann sah Murphy, was sie da in den Händen hielt. Eine Blechflöte. So ein Ding, auf dem die Chieftains irische Volkstänze und anderes Zeug spielten, mit hohen, scharfen Tönen, die Glas zum Zerspringen bringen konnten. Darauf hatte sie gespielt? Darauf hatte sie Barber gespielt?
»Können Sie mit diesem Ding umgehen?«, hörte Murphy sich fragen.
»Ziemlich gefühlsduselig, aber angemessen, finden Sie nicht?«
»Sollte man damit nicht eher ›MacNamara’s Band‹ und solche Sachen spielen?«
Sie lächelte fast. Hob das Ding an den Mund und
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