Todesschlaf - Thriller
fröhlich und schaffte es sogar, auf dem Teppichboden ihre Absätze klappern zu lassen. »Eine voll ausgestattete Pflegestation für all diejenigen unter unseren Klienten, die krank sind oder sich im dritten Stadium der Krankheit befinden, dem endgültigen körperlichen Zerfall. Hier muss niemand aufgrund gesundheitlicher Probleme auf die notwendige Pflege verzichten. Im Augenblick haben wir aber Glück. Nur sehr wenige Klienten bedürfen der intensiven Pflege.«
»Glück?«
An Mary Janes Lächeln hätte man Schauspielschülern beibringen können, wie Herablassung aussieht. »Niemand sieht andere gerne leiden, Mr. Murphy. Wenn unsere Klienten im dritten Stadium angelangt sind, dann haben sie den Großteil dessen, was ihre Persönlichkeit ausgemacht hat, bereits verloren. Das ist für niemanden einfach. Vor allem nicht für Dr. Raymond. Er leidet jedes Mal sehr, wenn er einen Klienten abgeben muss. Das sollten wir lieber verhindern, finden Sie nicht?«
Das fand er nicht, aber er arbeitete schließlich auch nicht tagtäglich hier.
»Das ist aber sehr kostspielig, oder etwa nicht?«
Ihr Lächeln wurde noch strahlender, ganz so, als könnte sie ihn dadurch seine unhöfliche Frage vergessen lassen. »Unsere Pflege hier ist auf dem neuesten Stand der Entwicklung, genau wie unsere Forschung. Und Dr. Raymond tut sein Möglichstes, um sämtliche anfallenden Kosten abzudecken. Spendenaufrufe, Forschungsstipendien, all diese Dinge.« Sie blickte sich kurz um und beugte sich dann etwas dichter zu Murphy - ganz Vertraulichkeit. »Er wäre wahrscheinlich wütend, wenn er wüsste, dass ich Ihnen das erzähle, aber Mr. Leary ist ein gutes Beispiel dafür. Dr. Raymond übernimmt einen Großteil der entstehenden Kosten persönlich. Das dürfte eindeutig für sich sprechen.«
Der Meinung war Murphy auch. Aber natürlich hoffte er, dass Raymond eine Gegenleistung für sein Entgegenkommen erwartete. »Ist das vielleicht der Grund, weshalb er zuvor schon einmal bankrottgegangen ist?«, sagte er.
Eine Sekunde lang erstarrten Mary Janes Gesichtszüge zu Eis. Murphy wünschte sich, eine Zigarette zur Hand zu haben. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, sie anzuzünden, damit sie die Chance hatte, sich zu erholen und er die Zeit, das Gehörte zu verarbeiten.Außerdem hätte er damit
den Geruch nach Giorgio Armani aus seiner Nase vertreiben können.
»Bitte entschuldigen Sie, wenn ich zu schroff sein sollte«, sagte Mary Jane mit genau der mühsam kontrollierten Vehemenz, die ihren tief sitzenden Zorn verriet. Eine persönliche Reaktion, die erste, die Murphy von der Plastikfrau überhaupt zu sehen bekam. »Aber ich halte diese Frage nicht für besonders sachdienlich. Oder zielführend. Ich denke, da müssen Sie schon Dr. Raymond fragen.«
»Und wie wir bankrottgegangen sind«, sagte der Goldjunge zwanzig Minuten später. »An welchem Aspekt unserer - wie Pete und ich es gerne nennen - ›jugendlichen Eskapaden‹ sind Sie denn besonders interessiert?«
»Wenn Sie mir meine Offenheit verzeihen«, sagte Murphy und ließ sich in den bequemen Ledersessel auf der anderen Seite von Raymonds einfachem Teakschreibtisch sinken, »aber es überrascht mich ein wenig, dass Sie nicht mehr Schwierigkeiten hatten, zum dritten Mal eine solche Einrichtung auf die Beine zu stellen.«
Und was machte dieser verdammte Raymond? Er lachte! »Wer sagt denn, dass ich keine Schwierigkeiten hatte? Nicht, dass Sie mich missverstehen, Mr. Murphy. Ich bin in Puckett aufgewachsen. Ich bin sehr gerne hier. Aber wenn man an eine ›führende medizinische Einrichtung‹ denkt, würde einem dann sofort Puckett, Missouri, einfallen? Die Menschen hier haben mir eine Chance gegeben. Ich versuche, dieses Vertrauen zurückzuzahlen.«
»Und was macht Sie so sicher, dass Sie nicht dieselben Schwierigkeiten bekommen wie die Male zuvor?«
Raymond lehnte sich ebenfalls zurück. Legte die Hände zusammen, als wollte er sie zu einer Antenne für die Suche nach der richtigen Antwort formen. Mit seiner heutigen Garderobe - blaues Hemd, Bugs-Bunny-Krawatte und tadellos
geschnittene graue Baumwollhose - sowie dem wie eine beiläufig akzeptierte Notwendigkeit seines Amtes über einem hinter ihm stehenden Stuhl hängenden weißen Labormantel machte Raymond den Eindruck eines Mannes, der keinen Gedanken an sein Image verschwendete. Wenn der Kerl doch wenigstens ein bisschen nervös gewirkt hätte. Ein bisschen geltungssüchtiger, mit gerahmten Diplomen an der Wand oder einer
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