Todesschlaf - Thriller
Ruhe ließ.
Wilhelm Reinholt Cleveland,
76, 01.07.1921, 20.10.1997,
Notaufnahme, Herzversagen,
Leichenhalle Breyer
Irgendetwas stimmte doch daran nicht. Wieso spürte sie bloß dieses merkwürdige Kribbeln?
»Heather ist langweilig«, beschwerte sich Meghan und lehnte sich an Timmies Arm.
Das bedeutete auf Meghanesisch: »Ich brauche jetzt jemanden zum Knuddeln«. Meghan war kein Kind, das um emotionale Zuwendung bat. Sie betrachtete sie als ihr gutes Recht. Nicht, dass sie jemals zugegeben hätte, dass das Durcheinander der letzten Monate - ganz zu schweigen von den letzten Tagen - dieses Bedürfnis noch ein wenig verstärkt hatte.
Timmie legte einen Kugelschreiber in die Falte des Computerausdrucks, drehte sich um, nahm ihre Tochter in den Arm und drückte sie fest an sich.
»Zumindest mag sie Renfield«, eröffnete sie die Verhandlungen.
»Kann ich nicht wieder zu Mattie gehen?«
»Tut mir leid, Schätzchen.Aber da übernachtest du schon morgen, damit Mommie ausgehen kann.«
»Schon wieder .« Meghan seufzte wie eine arme Waise in einem Melodram. »Du bist ja gar nicht mehr zu Hause.«
Timmie drückte Meghan noch einmal fest an sich. »Jetzt mach mir keinen Kummer, mein Kind«, sagte sie scherzhaft. »Abgesehen von den Beerdigungen wird das das erste Mal seit deiner Tanzvorführung letztes Jahr, dass ich Nylonstrümpfe trage. Mommys müssen auch ab und zu mal spielen, weißt du.«
»Aber Daddy ist dann bestimmt wütend«, beharrte Meghan. »Besonders, wenn er nach Hause kommt und ich nicht da bin.«
Daddy . Timmie brauchte all ihre Kraft, um nicht zusammenzuzucken. Das hatte sie ganz vergessen. Nun ja, vergessen war wahrscheinlich nicht das richtige Wort. Eher wieder einmal Scarlett gespielt. Sie musste unbedingt einen Rechtsanwalt auftreiben und diese »verschiedenen Maßnahmen« abwenden, die Jason ihr angedroht hatte, weil sie sich nicht bei ihm abgemeldet hatte. Sie musste jederzeit mit seinem Erscheinen rechnen, damit sie vorbereitet war, wenn er dann tatsächlich vor ihrer Tür stand, um seine Tochter zu erfreuen und seine Exfrau zu tyrannisieren. Verdammt noch mal, hörte das denn niemals auf?
»Wir schreiben Daddy einen Zettel«, versprach Timmie.
Meghan lehnte sich mit ihrem kleinen Kopf an Timmies Brust, so wie sie es schon als Baby gemacht hatte, und Timmie stieg der Duft nach Kindershampoo und frischer Luft in die Nase. »Ich will aber heute bei Mattie schlafen«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Ich mag sie. Und ich darf Mr. Mattie beim Grillen helfen.«
Timmie streichelte seidig-braune Haare und lächelte. »Nicht Mister. Reverend. Und er heißt auch nicht Mattie, sondern Wilson. Reverend Wilson.«
»Er findet es lustig, wenn ich Mr. Mattie zu ihm sage. Er sagt, ich darf.Was ist Vergeltung, Mom?«
Timmie richtete sich auf. »Was?«
Meghan verzog das Gesicht. »Ich habe Erkältung verstanden. Ich habe gedacht, er meint, dass die Erkältung Gott gehört, und das fand ich so komisch, dass ich ihn gefragt habe. Da hat er gesagt es heißt Vergeltung, und dass das nichts für kleine Mädchen ist.«
»Wann war das?«
»Ich glaube, an dem Abend, bevor du Opa weggebracht hast. Cindy war auch da, und Barbara auch. An Barbara kann ich mich noch genau erinnern, weil sie mit uns auf der Straße Korkball gespielt hat.Als es schon dunkel war! Mom, ist das nicht toll? Und weißt du was, wir sind sogar ein bisschen spazieren gegangen und haben eine Sternschnuppe gesehen. Du hast mir noch nie eine Sternschnuppe gezeigt.«
»Da, wo wir bisher gewohnt haben, konnte man einfach keine Sternschnuppen sehen, mein kleines Stadtmäuschen.«
Noch ein Naserümpfen, sodass sie tatsächlich ein bisschen wie eine Maus aussah. »Ich bin keine Maus, Mom. Aber wenn ich eine bin, dann möchte ich, glaube ich, keine Stadtmaus mehr sein. Ich mag Sternschnuppen. Was ist Vergeltung und wieso ist das nichts für kleine Mädchen?«
Timmie verabschiedete sich endgültig von ihren Statistiken. Es war schon Schwindel erregend genug, mit diesem Kind Schritt halten zu wollen. »Es heißt wäre , Schätzchen. Wenn ich eine Maus wäre . Und Vergeltung bedeutet so viel wie es jemandem heimzahlen. Also, wenn Crystal Miller dich zum Beispiel an den Haaren zieht und du sie dann auch an den Haaren ziehst.Was du aber nicht sollst …«
»Weil das nichts für kleine Mädchen ist. Aber wieso soll Gott Crystal an den Haaren ziehen?«
Timmie lachte. »Ich glaube, der Reverend hat gemeint, wenn Gott Crystal nicht an den Haaren zieht,
Weitere Kostenlose Bücher