Todesschrei
wer ist sie?« Vito lehnte sich an den Kühlschrank, zufrieden mit sich, dass er sich seinen Doppelbonus verdient hatte, aber gleichzeitig voller Ehrfurcht. »Deine Großmutter ist Anna Shubert. Meine Güte, Sophie, mein Großvater und ich haben sie in
Orfeo
in der Academy gehört. Ihr >Che faro< ...« Er wurde ernst, als er sich an die Tränen seines Großvaters erinnerte. »Nach der Arie gab es kein trockenes Auge mehr im Publikum. Sie war umwerfend.«
Sophie lächelte traurig. »Ja, das war sie.
Orfeo
hier in Philly ist ihr letzter Auftritt gewesen. Ich werde ihr erzählen, dass du sie kennst. Das wird sie freuen.« Sie stieß ihn sanft aus dem Weg, nahm Eier und Sahne aus dem Kühlschrank und stellte beides auf die Arbeitsplatte. Sie ließ die Schultern hängen. »Es ist so traurig, sie sterben zu sehen.« »Das tut mir leid. Mein Vater ist herzkrank. Wir sind für jeden Tag dankbar, den er noch bei uns ist.« »Dann kannst du es ja verstehen.« Sie blies sich das Haar aus der Stirn. »Im Wohnzimmer findest du ein paar Fotoalben. Da du Opernfan bist, müsste dich das begeistern können.«
Freudig brachte er die Alben an den Tisch. »Die müssten einiges wert sein.«
»Für Gran ja. Und mich auch.« Sie stellte ihm einen Kaffeebecher hin. »Das ist das Opernhaus in Paris. Der Mann da neben Gran ist Maurice. Er ist derjenige, der mir die Informationen über den toten Sammler gegeben hat.« Sie wandte sich wieder dem Herd zu.
Vito runzelte die Stirn. »Ich dachte, du hättest gesagt, dieser Maurice sei der Freund deines Vaters gewesen.« Sie schnitt ein Gesicht. »Er war Alex' Freund. Aber auch Grans. Es ist ein bisschen kompliziert. Und unschön.« Sie nannte ihren Vater beim Vornamen. Das war interessant. »Sophie, spann mich nicht auf die Folter.« Sie lachte leise. »Maurice und Alex waren zusammen auf der Uni. Beide waren reiche Playboys. Anna war Mitte vierzig und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie tourte durch Europa. Zu dem Zeitpunkt war sie schon lange Witwe. Ich nehme an, sie fühlte sich ziemlich einsam. Alex bekam ein paar kleinere Filmrollen. Maurice arbeitete für die Pariser Oper, wo er sie auch kennenlernte. Die Oper veranstaltete eine Party, und Maurice lud meinen Vater ein, stellte die beiden einander vor und -« Sie zuckte die Achsein. »Man hat mir erzählt, die beiden hätten sich sofort ineinander verliebt.«
Vito sah sie entgeistert an. »Deine Großmutter und dein Vater? Das ist... äh.«
Sie verquirlte die Eier mit einem Schneebesen. »Technisch betrachtet war sie nicht meine Großmutter und er nicht mein Vater. Noch nicht jedenfalls. Ich war noch nicht in Planung.« »Aber ... «
»Ich sagte ja, dass es unschön wird. Jedenfalls hatten sie eine Affäre.« Sie sah stirnrunzelnd in die Pfanne, in die sie die Eier kippte. »Dann stellte sie fest, dass er verheiratet war. Und gab ihm den Laufpass.« Vito begann, das Muster zu erkennen. »Ich verstehe.« Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Tja, Alex aber nicht. Anna wurde in Hamburg geboren, wuchs aber in Pittsburgh auf. Alex muss wohl ziemlich niedergeschmettert gewesen sein, als sie ihn verließ.« »Wer hat dir das alles erzählt?«
»Maurice. Er liebt Klatschgeschichten und Gerüchte. Deswegen wusste ich ja auch, dass er mir bestimmt etwas über Alberto Berretti sagen könnte.« »Und wie bist du ... ins Bild gekommen?« »Ah. Jetzt wird's noch elender. Anna hatte zwei Töchter. Freya die Gute und Lena.« »Die Böse?«
Sophie zuckte nur die Achseln. »Sagen wir einfach, Lena und Anna verstanden sich nicht. Freya war die ältere und bereits verheiratet. Mit meinem Onkel Harry. Lena war siebzehn, starrköpfig und rebellisch. Sie wollte selbst Sängerin werden. Aber Anna weigerte sich, sie dabei zu unterstützen und sie in die Opernwelt einzuführen. Es kam zu einem ziemlich hässlichen Bruch. Und dann ließ Anna meinen Vater fallen.«
Sie schaufelte Eier auf zwei Teller und stellte sie auf den Tisch. »Wie ich schon sagte - Alex war niedergeschmettert und im Grunde genommen ständig betrunken. Das ist keine Entschuldigung, aber ... Nun, jedenfalls lernte er eines Abends in einer Bar eine sehr junge Frau kennen, die ihn nach allen Regeln der Kunst verführte. Es war Lena.« »Lena hat ihn verführt, um sich an ihrer Mutter zu rächen? Oha.«
»Und es wird noch schlimmer. Lena und Anna stritten fürchterlich. Lena lief davon, und Anna kehrte nach Pittsburgh zurück, um ihre Wunden zu lecken. Ich glaube, Anna hat Alex
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