Todesschrei
hat verdammt viele Hotels.«
»Philadelphia? Ich dachte, Sie wollten zum Grand Canyon.«
»Über den Rechner meines Vaters habe ich herausgefunden, dass er sich nach Onkologen in Philly erkundigt hat. Deshalb dachte ich, sie wären vielleicht zunächst hierher gefahren.«
»Ihre Schwester lebt nur ein, zwei Stunden von dort entfernt«, sagte Chase ruhig.
»Ja, ich weiß.« Und er wusste auch, was Chase damit andeuten wollte. »Und, ja, man könnte erwarten, dass sie sich in diesem Fall bei ihr gemeldet hätten. Aber wie Sie bereits erwähnten: Ich habe eine ziemlich durchgeknallte Familie.«
»Und keinerlei Anzeichen für ein Verbrechen?«
Ich weiß, was Ihr Sohn getan hat.
»Nein. Nichts. Aber falls mir etwas komisch vorkommt, bin ich schneller bei der städtischen Polizei, als Sie >Käsesauce< sagen können.« »Also schön. Passen Sie auf sich auf, Daniel.«
»Ich gebe mir Mühe.« Daniel legte auf. Er konnte sich selbst nicht leiden. Vermutlich konnte er sein ganzes Leben nicht mehr leiden. Er wickelte sein Sandwich ein und stopfte es in die Papiertüte. Er hatte keinen Hunger mehr. Noch nie hatte er Chase angelogen.
Ich weiß, was Ihr Sohn getan hat.
Er hatte nur nie die ganze Wahrheit gesagt. Und falls er seine Eltern finden würde, dann musste er damit auch nicht anfangen. Er startete den Wagen und machte sich auf den Weg ins nächste Hotel.
New York City, Mittwoch, 17. Januar, 15.30 Uhr
Derek Harrington blieb an der Treppe zu seiner Wohnung stehen. Er hatte einmal ein erfülltes Leben gehabt. Einen Beruf, den er liebte, eine Frau, die er vergötterte, eine Tochter, die bewundernd zu ihm aufschaute. Nun konnte er sich nicht einmal mehr selbst im Spiegel ansehen. Heute war er auf einen neuen Tiefstand gesunken. Er war fünfmal am Polizeigebäude vorbeigegangen, aber nicht eingetreten. Laut Vertrag bekam er bei Kündigung eine Abfindung. Damit würde er das College seiner Tochter bezahlen können. Sein Schweigen sicherte ihr die Zukunft. Lloyd Webbers Sohn hatte keine Zukunft mehr. Er wusste, dass der Junge tot war - genau wie er wusste, dass er die Pflicht hatte, der Polizei seinen Verdacht in Bezug auf Frasier Lewis mitzuteilen. Aber die Macht des Goldes war groß und hielt ihn fest in den Klauen. Er setzte sich in Bewegung und ging die Treppe hinauf.
Die Macht des Goldes.
oRo. Er und Jager hatten sich einen treffenden Namen für ihre Firma ausgesucht. Er wollte gerade den Schlüssel ins Schloss stecken, als ihn ein scharfer Stoß in seine Nieren zusammenzucken ließ. Ein Pistolenlauf. Jager oder Frasier Lewis? Eigentlich wollte Derek es gar nicht genau wissen. »Kein Wort.«
Jetzt wusste Derek, wer die Pistole in der Hand hielt. Und er wusste, er würde sterben.
Philadelphia, Mittwoch, 17. Januar, 16.45 Uhr
Vito trabte die Treppe zur Bibliothek hinauf. Hoffentlich war das keine Zeitverschwendung. Er hatte das Fünf-Uhr-Meeting auf sechs verschieben müssen und würde nun später als beabsichtigt mit Sophie im Pflegeheim zusammentreffen.
Aber der Anruf der Bibliothekarin Barbara Mulrine hatte sich angehört, als könnte er sie einen bedeutenden Schritt weiterbringen. Er hatte Nick mit Jill Ellis' Anrufbeantworter am Präsidium abgesetzt. Mit etwas Glück würde sich die Technik bereit erklären, das Band bis sechs Uhr zu bearbeiten.
Barbara wartete mit Marcy am Empfangstisch. »Wir haben versucht, ihn zu überreden, zu Ihnen zu kommen, aber er will nicht«, sagte Barbara, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.
»Wo ist er?«, fragte Vito.
Marcy deutete auf einen älteren Mann, der den Boden wischte. »Er hat Angst vor der Polizei.« »Und warum?«
»Er stammt aus Russland. Ich bin zwar sicher, dass er sich ganz legal hier aufhält, aber er hat offenbar schon einiges durchgemacht. Er heißt Yuri und ist noch keine zwei Jahre in den Staaten.«
»Spricht er englisch?«
»Ein bisschen. Hoffentlich genug.«
Nach nur fünf Minuten erkannte Vito, dass »ein bisschen« nicht annähernd genug war. Der alte Russe hatte mit »einem Mann« über »Miss Claire« gesprochen. Der anschließende Mix aus zwei Sprachen war beinahe unverständlich gewesen.
»Tut mir leid«, sagte Barbara leise. »Ich hätte Sie vorwarnen müssen, damit Sie einen Übersetzer mitbringen.« »Schon gut. Mir fällt schon etwas ein.« Vito seufzte. Jemanden zu bekommen, der Russisch verstand, konnte Stunden dauern. Es sah nicht so aus, als würde er heute Abend noch eine Archäologin oder eine Opernlegende treffen.
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