Todesschrei
Er würde den alten Mann mitnehmen, während sie auf einen Übersetzer warteten. Dann konnte er wenigstens zwischendurch andere Dinge erledigen. »Sir, bitte kommen Sie mit mir.« Er streckte ihm die Hand entgegen, aber die Augen des Mannes weiteten sich vor Furcht. »Nein.« Yuri umklammerte den Besenstiel, und in diesem Moment sah Vito die verunstalteten Fingerknöchel des Mannes. Die Hände waren gebrochen worden. Es musste vor einigen Jahren geschehen sein.
»Detective«, murmelte Barbara. »Bitte tun Sie ihm das nicht an.«
Vito hielt beide Hände hoch. »Okay. Sie können hierbleiben.«
Yuri warf Barbara einen Blick zu, und diese nickte. »Er wird Sie nicht zwingen, Yuri. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Misstrauisch wandte Yuri sich ab und widmete sich wieder seiner Arbeit.
»Sie hätten ihn nicht zum Reden gebracht, wenn Sie ihn gezwungen hätten, mit aufs Revier zu kommen«, sagte Barbara. »Aber fahren Sie ruhig. Ich warte hier mit ihm, bis Sie einen Übersetzer haben.«
Vito lächelte frustriert. »Das kann Stunden dauern. Und Sie sind bereits den ganzen Tag hier.« »Das macht nichts. Ich mochte Claire Reynolds nicht, aber ich will auch nicht, dass ein Mörder frei herumläuft. Und ich habe Yuri schon vor langer Zeit versprochen, dass er hier in Sicherheit ist.«
Vitos Meinung von der Bibliothekarin stieg. Er kramte sein Handy aus der Tasche. »Ich werde wohl eine Verabredung absagen müssen.« Er fing ihren mitleidigen Blick auf, als er ans Fenster trat und Sophies Nummer wählte. Sie ging sofort dran.
»Sophie, ich bin's, Vito.« »Was ist los?«
Und er hatte geglaubt, ihm sei der Druck, unter dem er stand, nicht anzuhören. »Nichts. Na ja, eigentlich ist schon was los. Es sieht aus, als könnten wir in diesem Fall eine sehr wichtige Information bekommen, und ich muss dranbleiben. Vielleicht schaffe ich es später noch, aber es sieht nicht gut aus.«
»Kann ich dir vielleicht bei irgendetwas helfen?«
Ja. Mit meinem Doppelbonus.
»Ja, tatsächlich kannst du das. Wir wollten dich zu mittelalterlichen Strafen für Diebstahl befragen.«
»Kein Problem. Soll ich dazu aufs Revier kommen?« Vito wandte sich um und betrachtete den alten Mann. »Vielleicht. Aber ich bin noch eine Weile beschäftigt ...« Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Sophie, sprichst du eigentlich Russisch?« »Ja.«
»Gut oder nur Schimpfwörter?« »Gut«, sagte sie wachsam. »Wieso?«
»Könntest du zur Huntington-Bibliothek kommen?« Er gab ihr die Adresse durch. »Ich erklär's dir, wenn du da bist.« Er legte auf und rief Liz an, um sie auf den neusten Stand zu bringen.
»Schon wieder ein Berater, der es umsonst macht.« Liz lachte leise. »Ihnen ist doch wohl klar, dass Sie nie wieder eine Budgeterhöhung erhalten werden? Man wird erwarten, dass Sie das in Zukunft immer so handhaben.« »Technisch gesehen ist Sophie eine mehrfach einsetzbare Beraterin«, sagte er trocken. »Sagen Sie dem Team, ich komme, sobald ich kann, aber es wird nach sechs werden. Könnten Sie Katherine bitten, ein Foto von dem Brandzeichen auf Sanders' Wange zu machen? Ich bringe Sophie mit, wenn wir hier fertig sind, dann kann sie es sich anschauen. Ich möchte sie nicht ins Leichenschauhaus schleppen.«
»Abgemacht. Oh, übrigens habe ich Nachricht von Interpol. Wir könnten einen Treffer gelandet haben.« Vito straffte sich. »Wer?«
»Ich warte auf das Fax mit dem Bild. Vielleicht ist es schon da, wenn Sie kommen. Ich trommele das Team für sechs Uhr zusammen.«
16. Kapitel
Mittwoch, 17. Januar, 17.20 Uhr
Sophie war außer Atem, als sie die Bibliothek betrat. Vito stand in der Eingangshalle mit einer Frau in einem dunklen Pullover. Er sah auf und lächelte sie an, und ihr Herzschlag galoppierte. Sie schaffte es dennoch, die Halle einigermaßen würdevoll zu durchqueren und ihm nicht an den Hals zu springen, um dort weiterzumachen, wo sie am Morgen aufgehört hatten.
Das Aufblitzen seiner Augen verriet ihr, dass er ähnliche Gedanken hatte. »Also, worum geht's?«, fragte sie mit einem Lächeln, das hoffentlich nicht wie das eines hysterischen Teenies für den heißgeliebten Popstar wirkte. »Du müsstest für mich übersetzen. Sophie, dies ist Barbara Mulrine. Sie ist hier Bibliothekarin.« Sie nickte der Frau zu. »Freut mich. Was soll ich übersetzen?«
Barbara deutete auf einen alten Mann, der Fenster putzte. »Ihn. Er heißt Yuri Tschertow.«
»Ein Zeuge«, fügte Vito hinzu. »Bitte sorg dafür, dass er begreift, dass niemand
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