Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
hatte. Sie wollte jetzt lieber keine Andeutungen machen, wohl wissend, dass Dorte einen ausführlichen Bericht aus ihr herauslocken würde, denn dafür hatte sie im Moment keine Zeit. Stattdessen erzählte sie ihr, dass sie und Michael Schluss gemacht hatten, eine Auszeit nahmen oder was immer jetzt der Stand der Dinge zwischen ihnen war. Ihr war es noch immer unklar.
»Das ist nicht wahr, Bekka. Ihr habt euch doch gern.« Dorte klang aufrichtig überrascht, und Rebekka biss sich auf die Lippe. Das stimmte. Sie hatten sich gern gehabt – bis sie plötzlich in Niclas’ Armen gelegen hatte.
»Das habe ich auch geglaubt«, antwortete sie und spürte eine gewisse Sehnsucht nach Michael. »Aber es funktioniert nicht. Wir haben unterschiedliche Erwartungen an die Beziehung. Und jetzt muss ich los.«
»Wir müssen unbedingt was ausmachen«, antwortete Dorte. »Ich will Details. Bald.«
—
»Hi, Rebekka, good to see you.«
Ryan Sullivan erhob sich lächelnd, als Rebekka fast eine halbe Stunde zu spät und ein wenig außer Atem in der Weinstube eintraf. Sie hatte Ryan knapp vier Jahre nicht gesehen, doch er sah noch genauso aus, wie sie ihn von ihrer Zeit beim FBI in Quantico im Staat Virginia in Erinnerung hatte, wo sie beide an einer längeren Fortbildung teilgenommen hatten. Als sie ihn damals kennenlernte, war er bereits ein erfahrener Ermittler gewesen. Sie hatten einen Teil ihrer Freizeit miteinander verbracht, und Ryan hatte sie großzügig an seiner reichhaltigen Berufserfahrung teilhaben lassen. In den vergangenen vier Jahren hatte sie immer wieder davon profitiert, wenn sie ihm zu konkreten Fragen im Zuge einer Ermittlung eine E-Mail geschickt oder ihn angerufen hatte. Ryan hatte sich jedes Mal reichlich Zeit genommen und ihr hilfreiche Ratschläge erteilt. Er war eine Art Mentor für sie geworden, obwohl sie sich seit ihrem Aufenthalt beim FBI nicht mehr gesehen hatten.
Ryan war mittlerweile Anfang fünfzig. Er war groß und hatte eine hellbraune Haut, die mit Sommersprossen übersät war. Das früher rotbraune Haar war in den vergangenen Jahren etwas ergraut und spärlicher geworden, doch die Augen waren noch genauso, wie sie sie im Gedächtnis hatte, groß und bernsteinfarben und von vielen Lachfältchen umrahmt. Er ähnelte einem großen, gutmütigen Bluthund.
»Bitte entschuldige, dass ich so spät bin. Wie ich schon am Telefon gesagt habe, arbeiten wir an einem Fall …«
»Ich weiß – das verschwundene Mädchen.«
»Genau«, Rebekka senkte die Stimme, »und es sieht nicht gut aus. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt … Wir haben nicht eine konkrete Spur, der wir nachgehen können. Wir haben ihr Handy gefunden, ihren Pullover und eine Zeugin, die …«
»Setz dich, Rebekka, und erzähl mir von dem Fall. Allerdings siehst du aus, als könntest du etwas zu trinken und zu essen gebrauchen, ein Glas Wein oder ein Bier?«
Sie ließ sich dankbar auf das weiche Sofa fallen, und kurz darauf standen ein großes Glas Rotwein und ein Teller mit Tapas vor ihr. Sie prosteten sich zu, und sie trank einen Schluck Wein und biss in ein Stück Knoblauchbrot mit Tomatensalsa. Das Essen schmeckte köstlich, und ein paar Minuten unterhielten sie sich unbeschwert miteinander.
Ryan und sein Kollege Ted Palmer waren am späten Nachmittag des Vortags in Kopenhagen angekommen, um an einer Konferenz teilzunehmen, die den Startschuss für eine größere Europatournee bilden sollte. In den kommenden zwei Monaten würden sie innerhalb der EU hin und her reisen und von ihren Erfahrungen mit dem amerikanischen Alarmsystem Amber Alert berichten. Dieses nationale Alarmsystem trat in Kraft, wenn ein Kind verschwunden war und man ein Verbrechen befürchtete. Es bestand aus einem Netzwerk von lokaler Polizei, FBI , Radiostationen, TV -Stationen, elektronischen Reklametafeln an den Straßen und SMS -Warnungen.
»In den letzten Jahren hat es von der Europäischen Kommission mehrmals Vorschläge gegeben, ein internationales Einsatzprogramm wie unser amerikanisches zu schaffen. Viele Länder haben überhaupt kein System, und es herrscht Bedarf an einem gemeinsamen, international koordinierten Programm. Man könnte sagen, dass der Fall Madeleine McCann in Portugal diesen Bedarf auch hier in Europa verdeutlicht hat«, erklärte Ryan.
»Wie viele Kinder verschwinden jährlich in Europa?«, fragte Rebekka und schob sich eine Olive in den Mund.
»Niemand kennt die genaue Zahl, doch dem National Center for Missing and Exploited
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