Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
über ihren Körper glitten, stark und sanft zugleich. Er würde sie nach dem Fall fragen und ihr beruhigend übers Haar streichen, während sie ihm von ihrem Tag erzählte. Sie würden die Vernehmungen durchgehen, er würde ihr seine Sicht der Dinge darlegen, Kommentare abgeben, gute Ratschläge erteilen, und obwohl sie in Mordermittlungen mehr Erfahrung hatte als er, war Michael immer ein wertvoller Zuhörer. Vernünftig, analytisch und mit einer guten Portion Einsicht in das menschliche Wesen.
Einen Moment war sie versucht, ihn anzurufen, ihm zu sagen, dass sie ihn vermisste, sich für ihre Kälte und ihr Unvermögen zu entschuldigen. Doch sie ließ es bleiben. Stattdessen warf sie Jacke und Tasche in die Diele, drehte eine Runde durch die Wohnung, um überall das Licht einzuschalten, und landete schließlich in der Küche. Aus dem Schrank holte sie sich eine Flasche Rotwein, öffnete sie und schenkte sich ein Glas voll, auf dem noch immer ein leichter Lippenstiftabdruck zu sehen war. Sie musste gründlicher spülen.
Der Wein schmeckte irgendwie sauer, fand sie und trank noch einen Schluck. Sie setzte sich auf das Sofa, zappte zwischen den Kanälen hin und her, ohne nach etwas zu suchen, als sie hörte, dass eine SMS auf ihrem Handy einging. Sie war von Gundersen, der schrieb, dass die Zeugin vom Naturspielplatz inzwischen Sofies Vater als denjenigen identifiziert hatte, den sie mit Sofie gesehen hatte. Aufgrund dieser Zeugenaussage waren jetzt mehrere Streifenwagen unterwegs, um Allan Larsen so schnell wie möglich zu finden.
Rebekka trank aus, während sie sich vorzustellen versuchte, wie der versoffene Kleinkriminelle Allan seine Tochter entführte. Hatte jemand wie er, mit einem eskalierenden Drogen- und Alkoholproblem, überhaupt ein Interesse daran, ein Kind im Schlepptau zu haben? War er nicht letztlich dankbar dafür, dass es eine Mutter gab, die sich um ihr gemeinsames Kind kümmerte, während er sein Leben in diversen Kneipen verbrachte? Er konnte sich das Mädchen natürlich in einem Anfall von Wahnsinn geschnappt haben, genauso wie es um Erpressung gehen konnte.
Sie spürte, wie sie langsam dösig wurde, ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen, und kroch ins Bett. Sie zog die Decke über den Kopf, schloss die Augen und ließ ihren Gedanken freien Lauf, doch obwohl sie sich Mühe gab, nicht an die kleine Sofie zu denken, ließen sie die Vorstellungen, was ihr passiert sein mochte, nicht los.
—
»Wo warst du eigentlich? Du warst plötzlich einfach verschwunden.«
Anitas Stimme zerriss die Stille im Schlafzimmer. Das Morgenlicht drang durch die Lamellen des Rollos, hellgrau mit einem Streifen von Morgenröte. Keiner von ihnen hatte geschlafen. Sie hatten die ganze Nacht unbeweglich Seite an Seite gelegen und ins Dunkel gelauscht. Die Nachbarn oben hatten sich gestritten, wie üblich, ein paar Jugendliche hatten im Hof Flaschen zerdeppert und sich lautstark über den Krach amüsiert. Irgendwann war der Laut einer Sirene zu ihnen hereingedrungen und hatte sie erstarren lassen, bis das Tschilpen der Amseln draußen im Gebüsch einen neuen Tag ankündigte.
Steffen antwortete nicht auf die Frage, kniff nur die Augen fest zu, als wären sie Rollos, die ihn vor der Wirklichkeit abschirmen könnten.
»Wo warst du?«, wiederholte sie und fügte hinzu: »Du warst plötzlich verschwunden, und es hat ewig gedauert, bis du zurückgekommen bist, über eine Stunde.«
Anitas Stimme war leise, fast zärtlich, doch mit einem gefährlichen Unterton. Steffen räusperte sich, er hatte ihr weiter den Rücken zugewandt, er mochte sich nicht zu ihr umdrehen, mochte sie nicht ansehen. Er zog die Decke fester um sich, sie roch muffig, nach ihnen allen. Ein klaustrophobischer Geruch.
»Zum allerletzten Mal: Ich war drüben im Klub. Mir ist plötzlich eingefallen, dass ich ein paar wichtige Papiere für die Stadtverwaltung noch nicht ausgefüllt hatte. Ich habe sie zur Post gebracht.«
Anita war still geworden, ihr Atem kaum hörbar. Er wartete. Noch immer keine Reaktion. Vielleicht war sie eingeschlafen, die letzten vierundzwanzig Stunden waren anstrengend gewesen, mit Tränen, Schreien und vielen unbeantworteten Fragen. Die Müdigkeit lastete wie eine dicke Decke auf ihm, die Muskeln fühlten sich schwach an, ein ungewohntes Gefühl. Normalerweise fühlte er sich gesund und stark, hatte Oberwasser.
Steffen wollte gerade erleichtert aufatmen, als er spürte, wie sich Anitas scharfe Nägel in seinen Rücken
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