Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
aber dieses kleine Mädchen, Sofie Kyhn Larsen, ist gestern von dem Naturspielplatz dort unten verschwunden«, meinte der Beamte und reichte ihm eine Fotografie. »Sie wohnt nur ein paar Häuser weiter. Kennen Sie sie?«
Søren schüttelte heftig den Kopf. »Nein!«, rief er mit einer Stimme, die fremd klang.
Der Beamte mit dem verschlagenen Blick trat näher, und Søren wich zurück, die Türklinke drückte sich jetzt direkt in seinen Rücken, er konnte nicht entkommen.
»Sie haben eine gute Aussicht auf den Spielplatz. Die Eltern haben ihre Tochter gegen dreizehn Uhr das letzte Mal gesehen, da ist sie spielen gegangen. Ist Ihnen gestern irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Leute auf der Straße, die einen verdächtigen Eindruck gemacht haben, Autos – vor allem dunkle, Männer mit schwarzen Haaren, Weinen, Schreie …?«
»Nein, nichts davon.« Søren spürte, wie ihm der Schweiß das Gesicht hinunterlief, widerstand jedoch dem Drang, sich mit der Hand über die Stirn zu fahren. »Ich habe auch nicht aus dem Fenster gesehen«, fügte er schnell hinzu.
Der Polizist mit der Fotografie schwenkte sie erneut vor seinen Augen.
»Sind sie sicher, dass Sie das Mädchen noch nie zuvor gesehen haben? Sie wohnen schließlich nur ein paar Hundert Meter von ihr entfernt, und Sofie ist oft im Viertel unterwegs gewesen. Sie kennt auch viele Anwohner.«
Søren beugte sich leicht vor, tat, als würde er sich das Foto genau ansehen, obwohl er vor Sofies Gesicht am liebsten die Augen verschlossen hätte. Es kostete ihn alle Kraft, sich zusammenzunehmen, als er im Brustton der Überzeugung von sich gab, dass er sie noch nie gesehen habe.
Nach einigen Minuten bedankten sich die Beamten und verließen die Wohnung. Als er die Tür hinter ihnen schließen wollte, drehte der Pockennarbige sich noch einmal zu ihm um, die verschlagenen Augen studierten ihn ein paar Sekunden lang, bevor er die Tür schloss.
Søren stand einen Moment wie paralysiert da und starrte die Wohnungstür an. Die Angst pumpte durch seinen Körper, immer heftiger, und er presste die Hände fest gegen die Schläfen, um den Druck zu mindern, doch es gelang ihm nicht. Schwarze und rote Flammen züngelten in seinem Inneren, und er wollte ihnen gerade nachgeben, als er das leise Rufen seiner Mutter hörte:
»Søren, wer ist da? Haben wir Besuch?«
Er drehte sich um, die Flammen verzogen sich, erloschen langsam. Er fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht, das nass von Schweiß war, oder waren das Tränen? Dann streckte er sich, atmete tief durch und rief: »Ich komme, Mama.«
—
Rebekka kam gerade aus der Dusche, als sie ihr Handy klingeln hörte. Auf dem Display las sie Dortes Namen, und einen kurzen Moment erwog sie, einfach nicht dranzugehen. Sie war ohnehin zu spät dran und wollte sich in zehn Minuten mit Ryan Sullivan in einer Weinstube in der Møntergade treffen. Sie meldete sich trotzdem. Dorte machte gerade eine schwere Zeit durch. Sie und ihr Mann Hans-David, mit dem sie seit zehn Jahren verheiratet war, hatten eine Beziehungspause. Das war hart, nicht zuletzt für ihre beiden Kinder, Anton und Alma.
»Hallo, Dorte. Das wird jetzt ein Blitzgespräch – ich bin auf dem Weg aus der Tür.«
»Aha – und wohin?«
»Ich treffe mich mit meinem amerikanischen Freund Ryan. Dem Ermittler Ryan Sullivan, den ich vor ein paar Jahren beim FBI kennengelernt habe. Ich habe dir bestimmt von ihm erzählt.«
»Oh, und der ist gerade hier?« Dortes Stimme stieg an, und Rebekka musste lächeln. Dorte liebte Männer, und Ryan würde sie bestimmt attraktiv finden. »Das hat aber doch wohl nichts mit diesem widerwärtigen Fall von dem verschwundenen kleinen Mädchen zu tun?«
»Überhaupt nicht. Es ist ein Zufall, dass er gerade hier ist, obwohl das Timing wirklich gut ist, das muss man schon sagen. Verschwundene Kinder sind schließlich sein Spezialgebiet. Ist bei dir und den Kindern alles in Ordnung?«
»Dieser Fall verursacht mir Gänsehaut, Bekka. Aber danke, es ist alles in Ordnung. Hans-David und ich haben nächste Woche ein ›Date‹. Um uns auszusprechen und so. Das hat unser Paartherapeut vorgeschlagen.« Sie seufzte dramatisch und fügte hinzu: »Ich wollte auch nur hören, ob es dir gut geht. Es ist immerhin ein paar Wochen her, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben.«
»Ich habe dir so viel zu erzählen«, sagte Rebekka und dachte an Niclas Lundell, den schwedischen Ermittler, der sie vor ein paar Wochen auf dem Sofa verführt
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