Todesspiel
Cizinios Wut in Acre zu spüren bekamen, waren billige Nutten oder Kautschukzapfer, dumme oder hilflose Kreaturen. Langweilige Opfer im Vergleich zu denen, die Nestor ihm bot. Nestor hatte Cizinio die Augen für neue Möglichkeiten geöffnet. Einmal hatte er ihm in Nigeria sogar ein ganzes Dorf überlassen. Millionäre. Geschäftsleute. Einen japanischen Diplomaten. Totale Enthemmung. Es bescherte Cizinio keine Freude, aber manchmal besänftigte es das Tier in seiner Brust. Aber den Mann, dem sein ganzer Hass galt, hatte er in all den Jahren nicht zu fassen bekommen. Den Mann, der Cizinios Zukunft zerstört hatte, und zwar mit so einer Leichtigkeit, dass er ihn nicht einmal hatte berühren müssen.
Dieser Mann war Rubens.
Cizinio hatte einen Kloß im Hals.
Rubens war in New York.
Auf dem Bildschirm hatte Cizinio die Viertel eingekreist, in denen brasilianische Einwanderer wohnten, fünf insgesamt: eins in Newark, zwei kleinere in Brooklyn, eins in Astoria und eins in Queens. Flushing ebenfalls.
»Wenn Sie ihn finden, bringen Sie ihn her.«
Im Westen, hinter dem Stacheldrahtzaun, lag der Flughafen Newark, wo am Abend jede Menge Gäste eintreffen würden, um sich für »Phase drei« zu treffen.
So hatte Nestor manchmal am Telefon den neuen Plan genannt, wenn er mit Kunden gesprochen hatte.
Es kamen Leute aus Washington, aus Rom, aus Brasilia.
Dann gab es noch den Flughafen in Teeterboro, wo Nestor für alle Fälle eins von seinen Fluchtflugzeugen stehen hatte. In der Lagerhalle waren Hunderte gespendete Mobilklos bis unter die Decke gestapelt und so angeordnet, dass ein ganzes Labyrinth aus schmalen Gassen und kleinen Kammern entstanden war.
»Wer den Mann findet, kriegt einen Bonus.«
Rubens’ Gesicht erschien auf dem Bildschirm und beäugte Cizinio aus jeder Richtung.
So war es, seit sie Kinder waren.
Klick.
Auf dem Bildschirm öffneten sich mehrere Fenster, in denen Fotos von Immigrantenvierteln zu sehen waren – Wohnhäuser, Bolzplätze, brasilianische Imbissstände und Restaurants.
Manchmal erschien es Cizinio nicht fair, dass kurze Augenblicke im Leben eine solche Bedeutung bekommen konnten. Jahrelang verschwanden sie aus dem Gedächtnis, und dann tauchten sie unversehens in Träumen auf. Während er jetzt sprach, sah er vor seinem geistigen Auge Rosa in einem Baumwollkleid, die eine aus einer Bierflasche gebastelte Puppe im Arm trug und fragte: »Cizinio, möchtest du mein Baby füttern?« Es war nichts Besonderes an diesen Worten. Sie hatte gekichert, verdammt. Aber der Ton, die Art, wie das Licht auf ihr Gesicht gefallen war, das hatte ihn einfach umgehauen – viel mehr als die Brandwunden von den Zigaretten seines Vaters auf seinen Armen. Jahrelang hatte Cizinio versucht, dieses Gefühl noch einmal wiederzufinden. Als junger Mann hatte er dann versucht, es zu vergessen, und später hatte er sich bitter dafür gerächt, dass er es verloren hatte. Und er würde bis in alle Ewigkeit dafür bezahlen.
Einen flüchtigen Augenblick lang spürte Cizinio, dass Rubens keine Schuld traf. Was passiert war, war vorherbestimmt gewesen. Als er Rosa kennengelernt hatte, war er schon viel zu verkorkst gewesen. Wie hätte sie ihn da bevorzugen können? Aber diese Erkenntnis war zu belastend, als dass sie sich länger als eine Sekunde in seinem Bewusstsein halten konnte.
Cizinio betrachtete das Gesicht auf dem Foto, Rubens’ Gesicht, das ihm alles vor Augen führte, was er nicht war.
»Bringen Sie ihn mir wenn möglich lebend.«
Nachdem die anderen gegangen waren, sammelte er die Fotos ein, legte sie auf den Beifahrersitz seines SUV und fuhr als Erstes nach Newark. Der warme, stetige Regen auf dieser Seite des Flusses erinnerte ihn an seine Heimat. Wenn es in Brasilien ein paar Wochen lang so regnete, traten die Flüsse über die Ufer. Dann knabberten die Fische an Früchten, die an niedrigen Asten hingen, und Gold löste sich vom Boden der Flussbetten. Regen brachte Glück.
Hoffentlich ist es hier auch so, dachte er.
Rubens stand starr vor Angst in Tommys Arbeitszimmer, während die Schritte auf dem Flur näher kamen. Er hörte die verzweifelte Stimme seiner Tochter.
Das ist die Polizei! Sie haben mich gefunden! Jemand muss sie verständigt haben, jemand muss mich auf dem Phantombild erkannt haben! Er warf einen Blick nach draußen. Keine Streifenwagen. Die Cops mussten zu Fuß gekommen sein, um ihn zu überraschen. So oder so, er konnte nicht fliehen und riskieren, dass man auf ihn schoss, solange
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