Todesspiele
ganz sicher sei. Ja, Susannah war sich ganz sicher. Als Gretchen zu sprechen begann, wurde die Menge still. Gretchen hatte den anderen Frauen vorher ihre Aussage gezeigt, und ihre schlichten, aber eloquenten Worte hatten nicht nur einer von ihnen die Tränen in die Augen getrieben. Doch nun wirkten alle gefasst und ernst. Sie waren bereit.
Die erste Frage kam von einer Frau. »Wie haben Sie herausgefunden, dass es die anderen gab?« Talia hatte Gretchen eine Antwort darauf vorbereitet. »Im Verlauf einer Ermittlung, die mehrere Mordfälle in einem anderen Bundesstaat betraf, wurden Fotos der Vergewaltigungen entdeckt. Aufgrund dieser Fotos hat das GBl in der darauffolgenden Woche unsere Identitäten festgestellt.«
Kameras blitzten, und Susannah hörte aus dem allgemeinen Geraune vereinzelte Worte wie »Simon Vartanian« und »Philadelphia«, ebenso wie ihren und Daniels Namen. Aber da sie im Haus Vartanian schon als Kind gelernt hatte, wie man leidenschaftslos wirkte und sich nichts anmerken ließ, hob sie nur das Kinn und blickte gelassen über die Menge, wobei sie sich bewusst war, dass nahezu jede Kamera nun auf sie gerichtet war.
Ein Mann stand auf und hob die Hand. »Wie hat sich dieses Verbrechen auf Ihr Leben ausgewirkt?« Die Frauen sahen einander an, dann zog Carla Solomon, die auf der anderen Seite neben Gretchen saß, das Mikrofon zu sich heran. »Die Auswirkungen waren wohl für jede von uns anders, aber insgesamt kann man sagen, dass sie mit den üblichen Nachwirkungen übereinstimmen, unter denen Vergewaltigungsopfer leiden. Wir haben Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen und diese zu pflegen. Einige haben mit Tabletten- oder Alkoholsucht zu kämpfen. Ein weiteres Opfer hat Selbstmord begangen. Das Verbrechen war ein prägendes und vernichtendes Erlebnis in unserer Jugend, das dauerhafte Narben hinterlassen hat.« Als Nächstes stand ein Mann in der dritten Reihe auf, und Susannah spürte ein Prickeln des Unbehagens. Er sah sie direkt an, und in seiner Miene lag eine ... eine Befriedigung, bei der sich ihr die Nackenhaare aufstellten. »Troy Tomlinson für das Journal«, sagte er. »Die Frage geht an Susannah Vartanian.«
Das Mikrofon wurde ihr gereicht, und Susannah suchte aus dem Augenwinkel den Raum nach Luke ab. Er war nirgendwo zu sehen, und ihr Unbehagen wuchs. »Vor dreizehn Jahren waren Sie alle Opfer«, begann Tomlinson, »und ich denke, ich spreche für alle Anwesenden, wenn ich sage, dass wir Verständnis dafür haben, warum Sie es damals versäumten, die Verbrechen anzuzeigen. Sie waren sechzehn Jahre alt und natürlich viel zu jung, um die enorme Tragweite der Erfahrung zu erfassen.« Aus seiner Stimme troff falsche Anteilnahme, die Susannah instinktiv aggressiv machte, und sie spürte, wie Gretchen sich neben ihr versteifte. »Aber, Susannah Vartanian, wie erklären Sie - ausgerechnet Sie, die Sie als Staatsanwältin in New York Vergewaltigungsopfer stets drängen, an die Öffentlichkeit zu gehen - Ihr Versäumnis, eine zweite Vergewaltigung sieben Jahre später anzuzeigen, obwohl Ihre Freundin bei demselben Anlass brutal ermordet wurde?« Das Raunen schwoll an, und Tomlinson sprach lauter. »Und wie reagieren Sie darauf, dass Garth Davis abstreitet, Sie vergewaltigt zu haben?« Susannahs Adrenalinspiegel stieg so rasch, dass ihr das Blut in den Ohren rauschte. Woher weiß er von Darcy? Als die zweite Frage ihren Verstand durchbohrte, kochte der Zorn auf und verdrängte die Furcht. Garth Davis streitet es ab? Mit den Fotos als Beweisen? Dieses elende, miese Schwein.
Nein. Bleib ruhig. Sag die Wahrheit. »Mr. Tomlinson. Ihre Andeutung, ein Vergewaltigungsopfer, das das Verbrechen nicht anzeigt, sei in irgendeiner Hinsicht nachlässig, unreif oder verantwortungslos, ist unglaublich unsensibel und grausam.« Sie lächelte nicht. »Vergewaltigung ist mehr als nur Körperverletzung, und Opfer, mich eingeschlossen, zahlen nicht nur mit dem Verlust ihres Selbstvertrauens. Es ist sehr schlimm, erkennen zu müssen, dass einem körperliche Unversehrtheit nicht garantiert ist und dass man die Kontrolle über das eigene Leben verloren hat. Jede Frau wird anders damit fertig, aber jede muss sich damit auseinandersetzen, ob sie nun sechzehn oder sechzig Jahre ist. Als meine Freundin vor sechs Jahren umgebracht wurde, habe ich mit den ermittelnden Behörden kooperiert, so gut es mir möglich war. Ich habe dafür gesorgt, dass die Fakten bekannt wurden, die schließlich zur Ergreifung des Täters
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