Todesspiele
auf genauere Prüfung hin ging sie mit Make-up, Perücke und ausgestopftem BH als Marianne Woolf durch. Dennoch brannte ihr der Magen, wenn sie an Charles dachte. Verdammter alter Mann. Aber was kümmerte sie Charles' Meinung? Nun, es hatte sie ein halbes Leben lang gekümmert, und so eine Gewohnheit schüttelte man nicht einfach ab. Noch immer wollte sie sich ihm beweisen. Sie hatte ihren Stolz. Und sie hatte Talent. Bald würde Charles dies erkennen, genau wie jeder andere auch, der bei der Pressekonferenz zusah oder nachher den Sender CNN einschalten würde. Bobby widerstand der Versuchung, die Waffe in ihrer Tasche zu berühren. Sie war geladen. Sie hatte sie in der Damentoilette überprüft, nachdem man sie ihr, in eine Jacke gewickelt und in einen Rucksack gestopft, von hinten gereicht hatte. Ihr Kontakt hatte gute Arbeit geleistet. Siehst du, ich habe doch etwas erreicht, alter Mann. Sie hatte einen Maulwurf beim GBl.
Den Paul dir verschafft hat. Und Charles hat dir Paul verschafft. Dieser Gedanke hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Wenn sie zurückdachte, erkannte sie, wie sie manipuliert worden war. Dass sie Paul kennengelernt hatte, als sie gerade dringend jemanden beim Atlanta Police Department gebraucht hatte, war ihr damals wie eine gute Fügung des Schicksals erschienen. Nun wusste sie, dass sie auch nur eine von diesen Schachfiguren war, die Charles in seinem Elfenbeinkästchen mit sich herumschleppte. Doch in diesem Augenblick musste sie sich konzentrieren. Die nächste Stunde war sie Marianne Woolf, Reporterin. Marianne brauchte ihre Identität erst zurück, wenn sie wieder erwachte. Denn tot war sie nicht. Bobby mordete nicht, wenn es nicht nötig war, was immer Paul auch denken mochte. Paul. Dieser Dreckskerl.
Denk nicht an Paul, oder du bist nicht konzentriert genug. Denk an ... Sie überlegte hastig. Marianne. Bobby hatte Marianne immer gemocht. Sie war eine der wenigen an dieser angestaubten Privatschule voller arroganter Schnösel gewesen, die sich herabgelassen hatte, mit ihr zu reden. Die reichen Zicken hatten Marianne verspottet und behauptet, sie würde es vermutlich mit allen treiben. Marianne hatte damals eine Freundin gebraucht. Und ihre Freundschaft hatte die Jahre überdauert. Als Garth zum Bürgermeister gewählt worden war, waren einige der reichen Zicken etwas freundlicher geworden. Bobby war zu ihren Wohltätigkeitsveranstaltungen gegangen und hatte gelächelt, während sie sich insgeheim an dem Wissen geweidet hatte, dass sie eine Mörderin und eine Hure an ihren mit Spitzendeckchen geschmückten Teetafeln willkommen hießen.
Nur der Nachmittag, an dem sie bei den Vartanians zum Tee eingeladen gewesen war, hatte sie wirklich Nerven gekostet. Inmitten der stillen Eleganz alten Geldes zu sitzen, ohne »meins« zu schreien und Carol Vartanian an die Gurgel zu gehen, hatte sie wirklich jeden Fetzen Selbstbeherrschung gekostet. Und sie hatte es nur geschafft, weil sie sich vorher mit Charles getroffen hatte. Er hatte sie beruhigt und ihr versichert, dass ihre Zeit kommen würde. Dass sie eines Tages in diesem Haus sitzen und aus dem silbernen Teeservice ihrer Urgroßmutter trinken würde. Das allerdings war nun nicht mehr wahrscheinlich. Nun, da die Polizei wusste, wer sie war. Da Susannah Vartanian alles ruiniert hatte, als sie dieses verdammte Mädchen im Wald gefunden hatte. Nun musste sie Dutton und Georgia verlassen. Musste dieses verdammte Land verlassen. Und sogar Charles hatte sie im Stich gelassen. Denk nicht an Charles. Schiire deinen Hass. Denk an die Vartanians. Sie hatte sich so sehr gewünscht, Carol Vartanian das Genick zu brechen! Die Frau des Richters war der Grund gewesen, warum die Styvesons aus Dutton hatten wegziehen und die gut bezahlte Stelle aufgeben müssen. Carol hatte dafür gesorgt, dass Styveson nur noch in kleinen Gemeinden in entlegenen Käffern predigen durfte. Carol hatte ihr Leben zerstört. Es war ihre Mutter gewesen, die ihr das erzählt hatte.
Susannah Vartanian hatte ihr Leben gelebt. Dort oben in dem großen Haus auf dem Hügel, inmitten der teuren Möbel. Mit den teuren Kleidern, den Perlen, die seit sechs Generationen an die Töchter weitervererbt wurden. Doch Susannah Vartanian würde heute alles verlieren. Erst ihre Würde. Dann ihr Leben.
Mühsam widerstand Bobby dem Drang, Mariannes Pressekarten an ihrem Hals zu befingern. Marianne hatte heute Morgen sehr rasch auf ihre Bitte um Hilfe reagiert, wie Bobby es sich gedacht hatte.
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