Todesspur
Wir machen hier das Turbo-Abi, wir haben nicht endlos viel Freizeit.«
Das leuchtet Jule ein. Die Schule, der Sport, die Musik – der Zeitplan dieser jungen Leute scheint tatsächlich eng getaktet zu sein. »Dann müssen wir euch jetzt noch fragen, wo ihr den Sonntagabend verbracht habt.« Jule schlägt demonstrativ ihr Notizbuch auf.
»Wir brauchen ein Alibi?«, kräht Fiona. »Ist ja krass!«
»So ist es. Also?«
Florian gibt an, er habe mit Cornelius online gezockt. Fiona saß mit ihren Eltern und ihrer Schwester vor dem Fernseher, Gwen verbrachte den Abend lernend in ihrem Zimmer, Valentin war zu Hause und sah sich an seinem PC einen Film an, und Luis wiederholt, dass er an seinem Referat gearbeitet hat.
Es klingelt, die Pause ist zu Ende. Jule und Fernando lassen sich die Handynummern der Befragten geben und verabschieden sich von den Schülern, die eilig das Zimmer verlassen. Draußen hören sie Valentin Franke vor sich hin schimpfen: »Mist, wann soll ich denn jetzt was essen?«
7
Hungrig maunzend und mit erhobenem Schwanz streift der Kater um die Stuhlbeine. Stella zieht den Gürtel ihres Morgenmantels enger und legt die Hände um die Kaffeetasse. Es geht auf zwölf Uhr zu. Wo bleibt der Alte nur so lang? Bestimmt hat er sich wieder am Kiosk festgesoffen, während ich hier Kohldampf schiebe. Und abwaschen hätte er auch mal können, verdammt! Stella räumt die Reste vom gestrigen Abendessen – zwei Dosen Hering in Tomatensoße – vom Tisch hinüber auf die Ablage der Spüle, in der sich die Überbleibsel der Mahlzeiten der vergangenen Woche befinden. Seit drei Monaten ist die Spülmaschine kaputt, und jeden Tag verspricht Niko, sie zu reparieren oder einen von seinen Kumpels damit zu beauftragen. Aber es geschieht nichts. Manchmal können solche Dinge Stella von einer Sekunde auf die andere in Wut versetzen. Sie ruft sein Handy an, wird aber noch wütender, als sie hört, wie es in dem Raum klingelt, den er sein »Arbeitszimmer« nennt. Nie hat er das Ding dabei, er könnte es genauso gut wegwerfen! Endlich, zehn zornige Minuten später hört sie seine schweren Schritte im Treppenhaus und dann den Schlüssel im Schloss.
Er war am Kiosk, schon auf drei Meter Entfernung kann sie die Fahne riechen, die ihm vorauseilt, als er »seinem Schatz« übertrieben freundlich einen guten Morgen wünscht.
»Wo bleibst du denn? Das Vieh hat Hunger.«
Niko stellt eine Plastiktüte von Lidl auf den Küchentisch. Er sollte mal wieder zum Friseur gehen, findet Stella. Die strähnigen grauen Haare, die er sich aus der Stirn kämmt wie John Travolta, kringeln sich bis über den speckigen Kragen seiner Lederjacke. Sie schnappt sich die Tüte. An das Katzenfutter hat er natürlich gedacht. Und Brötchen, immerhin, aber wo sind meine Zigaretten? Ah, Glück gehabt. Er holt eine Packung aus der Jackentasche, ihre Lieblingssorte, JPS vom Kiosk.
»Das Mistvieh macht mich noch ganz kirre!« Sie schiebt Niko demonstrativ eine Dose Katzenfutter zu. Niko reißt den Deckel auf und kratzt den Inhalt in die kleine Porzellanschüssel, die er vorher unter dem Wasserhahn notdürftig gesäubert hat. »Es gab einen Toten.«
»Tote gibt’s jeden Tag«, versetzt Stella. »Die Friedhöfe sind voll davon.«
Ächzend geht Niko in die Knie und stellt dem Kater das Futter hin.
»Ein junger Kerl, sechzehn vielleicht. Erschlagen, drüben in Vahrenwald. Es wimmelt vor Bullen.«
»Und da musstest du dringend dabeistehen und gaffen, was?«
»Ich hab am Kiosk davon erfahren.«
»Das riecht man.«
»Wie war’s denn gestern?«, versucht Niko den Kurs der Unterhaltung zu wechseln.
Stella leert ihre Kaffeetasse. »’nen Zwanziger hab ich verdient, den kannste haben.«
Nicht, dass Niko Stellas Zuhälter wäre. So jemanden braucht sie nicht, hat sie noch nie gebraucht. Okay, er kümmert sich, wenn es mal Ärger gibt, aber das ist nur ein Freundschaftsdienst, das müsste er nicht tun, wenn es nach ihr ginge. Stella und ihr Lebensgefährte haben ein Abkommen, dass sie sich an den Kosten des Haushalts beteiligt. Es war Stella, die das so wollte, als sie vor vier Jahren ihre Wohnung in der List nicht mehr halten konnte und bei Niko einzog. Inzwischen ist sie ihm die Miete für das letzte Jahr schuldig, von den Ausgaben für Lebens- und Genussmittel gar nicht zu reden.
»Die Konkurrenz ist einfach zu groß«, klagt sie wie fast jeden Tag und weist darauf hin, dass Hannover eine der Städte mit den meisten Nutten Deutschlands ist – pro
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