Todesspur
dass er am Altenbekener Damm aussteigen muss, hat ihm mit seinem Rucksack fast das Telefon vom Ohr gefegt. »Hat Bächle noch was gesagt – zur … zum corpus mortui ?«
»Seit wann unterhalten wir uns in toten Sprachen?«, wundert sich Oda.
»Ich sitze hier zwischen lauter Schülern«, flüstert Völxen. Ihm gegenüber spielen zwei Mädchen im Teenager-Alter an einem Handy herum und probieren Klingeltöne aus. Womit haben sich die Leute eigentlich früher in der Bahn beschäftigt? Zeitung lesen. Und Bücher. Oder man hat einfach aus dem Fenster gesehen, vielleicht in der Nase gebohrt und seine Gedanken und Blicke schweifen lassen – falls man nicht im Tunnel fuhr. Passenderweise taucht die Stadtbahn in diesem Moment aus der Unterwelt an die Oberfläche auf und fährt auf dem Mittelstreifen der Hildesheimer Straße weiter.
»Bächle hat sich gar nicht sehen lassen«, beantwortet Oda die Frage ihres Chefs. »Auf trauernde Eltern ist der auch nicht scharf, lieber zersägt er Kalotten. Er hat Frau Clement geschickt, seine Assistentin. Die hat mir aber versprochen, dass der Junge noch heute obduziert wird. Angeblich wollte Bächle nur die Identifikation durch die Eltern abwarten.«
»Döhrener Turm«, kündigt die wohlklingende weibliche Lautsprecherstimme an.
»Ich bin da, bis gleich.« Kaum ist Völxen ausgestiegen, klingelt sein Telefon. Es ist Dr. Bächle, wie das Display verrät. »Wenn man vom Teufel spricht«, murmelt der Kommissar und nimmt ab.
»Sag mal, Jule, findest du, dass ich wie ein Türke aussehe?«
Jule, die den Mini geschmeidig und zielsicher durch die Einbahnstraßen von Linden-Mitte laviert, wirft ihrem Kollegen einen prüfenden Seitenblick zu. »Wieso?«
»Jetzt sag schon!«
»Eher wie ein Italiener.« Jedenfalls wird ihr Kollege von ihrer Klientel oft genug als ›Spaghetti‹ oder ›Itaker‹ tituliert. »Vielleicht solltest du es mal mit weniger Haargel versuchen. Dein spezieller Freund Markstein zum Beispiel macht jetzt einen auf Bruce Willis, frisurmäßig. Und er sagte was von einer Bande Jugendlicher, die Hainholz und Vahrenwald unsicher macht, es stand wohl schon öfter etwas davon in seinem Blatt. Hast du darüber was gelesen?«
»Sehe ich aus, als würde ich die BILD lesen?«
»Ja.«
»Ich wirke also wie ein Italiener, der die BILD - Z eitung liest?«
»Was hast du heute nur dauernd mit deinem Aussehen? Außerdem weiß ich, dass du die BILD liest!«, antwortet Jule ungeduldig.
»Du kannst bei Antonio im Hof parken.«
Jule passiert die schmale Einfahrt und parkt ihren Mini in dem engen Hinterhof, der größtenteils zur Autowerkstatt von Fernandos bestem Freund Antonio Ganni gehört. Sie haben sich auf ein rasches Mittagessen im Laden von Fernandos Mutter geeinigt. »Linden liegt ja fast auf dem Weg nach Hainholz«, hat Fernando behauptet.
»Nando, Jule!« Pedra Rodriguez begrüßt ihre Gäste mit schmatzenden Wangenküssen und einem spanischen Wortschwall, wobei sie moniert, dass Fernando sich mal wieder rasieren sollte. »Ich hab’s dir heute früh schon gesagt!«
Jule verkneift sich ein Grinsen angesichts der dunkel beflaumten Oberlippe von Fernandos Mutter, die sich nun hinter der Kühltheke zu schaffen macht. Wie immer ist sie entzückt darüber, ihren Sohn und dessen Kollegin verköstigen zu dürfen.
»Für mich bitte nur eine winzige Portion!«, sagt Jule.
» Que sí, que sí. «
Natürlich fährt Pedra wenig später eine Platte mit Tapas auf, die fast den gesamten Tisch einnimmt. Jule läuft beim Anblick der Datteln im Speckmantel und dem Duft des Serranoschinkens das Wasser im Mund zusammen. Sie hat es sich inzwischen abgewöhnt, das Essen hier bezahlen zu wollen, der Versuch führt jedes Mal zu Diskussionen und einer grollenden Ladenbesitzerin. Sie kauft stattdessen hin und wieder ein paar Kisten vom teuren Rioja und hofft, die Verluste so wieder auszugleichen.
Eine Weile essen sie mit stummer Hingabe, während Pedra akribisch die Kaffeemaschine poliert. Sie ist riesig und hellblau und stammt aus einem italienischen Café. Konkursware, Antonio hat sie ihnen günstig besorgt. Pedra hütet das Monstrum wie ihren Augapfel. Plötzlich geht die Tür hinter der Theke auf, und man erkennt ein Gesicht, dessen Hautfarbe sich kaum vom Hintergrund des dunklen Lagerraums abhebt. Jule kommt es so vor, als würde die Person zusammenzucken, als sie Fernando sieht, der bei ihrem Anblick die Stirn runzelt.
»Was soll ich machen mit Kisten?« Französischer Akzent, eine
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