Todesspur
dann bei meinen Interessen auch kochen ankreuzen, weil bevorzugt Leute mit gleichen Hobbys zusammengeführt werden? Aber das wäre ja in meinem Fall glatt gelogen. Lasse ich es aber weg, dann werden mir die Männer, die kochen können, vielleicht nicht vorgeschlagen, verstehst du?«
»Nein.«
»Pass auf. Wenn einer im Urlaub nur immer ans Meer fährt, und der andere unbedingt in die Berge will, dann kann das kompliziert werden. Aber wenn einer gerne kocht, ist es nicht zwingend notwendig, dass die Partnerin auch gerne kocht, denn zwei Köche kommen sich nur in die Quere. Dagegen ist es wichtig, dass der andere gerne gut isst. Was ich damit sagen will: Ich finde, ehe man das ausfüllt, muss man doch wissen, wie das Programm die Daten verwendet: Ob es nur ganz simpel Gemeinsamkeiten abgleicht oder auch Komplementäre berücksichtigt, also sich ergänzende Verhaltensmuster zweier Menschen.«
»Mensch, Jule! Den Kerlen reichen Maße, Gewicht, Alter und das Foto. Der Rest interessiert die nicht wirklich. Wenn du einen mit Geld willst, dann gib als Hobby golfen und segeln an«, rät Britta. »Aber weißt du was, Jule? Ich glaube, du bist mehr der Typ fürs Speed-Dating.«
»Super Idee. Dann noch einen schönen Abend.«
Jule klappt das Laptop zu. Sie hat genug gehört und ist zu der Überzeugung gelangt, dass man nicht jede Erfahrung selbst machen muss. Durch das Gespräch mit Britta aufgeheitert, schenkt sich Jule noch einen Merlot ein und schaltet den Fernseher an. Für den Anruf bei ihrer Mutter ist es jetzt zu spät, stellt sie nach einem Blick auf die Uhr fest. Constanze Wedekin schätzt Anrufe nach zwanzig Uhr nicht besonders. Ein Wilhelm-Busch-Zitat kommt Jule in den Sinn:
Wer einsam ist, der hat es gut,
weil keiner da, der ihm was tut.
Und schließlich: Uneingeschränkte Herrscherin über die Fernbedienung zu sein hat ja auch was.
Tian Tang füllt die Weingläser nach und setzt sich wieder neben Oda auf das Sofa. »Danke für das wunderbare Essen!«
»Aber du hast doch gekocht.«
»Aber durch deine Gegenwart wurde es erst zum Genuss!«
Oda lächelt. Sie fühlt sich wohl wie eine Katze beim Sonnenbad. Tian Tang kann wunderbare Komplimente machen und ausgezeichnet kochen. Abgesehen davon, dass kein Mensch auf der Welt die Kunst der Massage so gut beherrscht wie er. Was für ein Glück für sie und ihren Rücken, dass sie ihn vor einem halben Jahr als Zeugen in einem Mordfall vernehmen musste. Mordfall … dieser tote Junge … Was sie heute von Olafs Großmutter gehört hat, geht ihr immer noch nicht aus dem Kopf. »Tian, glaubst du, dass es Menschen gibt, die von Grund auf einfach böse sind – egal unter welchen Umständen sie aufwachsen?«
»Du meinst, ob es ein Psychopathen-Gen gibt?«
»Ja.«
»Nun, darüber streitet sich die Wissenschaft ja schon seit Jahrhunderten. Zurzeit ist man wohl gerade wieder der Meinung, dass es sowohl genetische als auch hirnorganische Voraussetzungen für Psychopathie gebe, was sich je nach Sozialisation und Umfeld der Person unterschiedlich auspräge: Die einen würden Verbrecher, die anderen Helden oder Staatspräsidenten.«
»Den Stand des wissenschaftlichen Diskurses kenne ich«, wirft Oda etwas ungeduldig ein.
»Der chinesische Philosoph Xunzi, der dreihundert vor Christus geboren wurde, vertrat die Ansicht, dass der Mensch von Grund auf böse sei. Sein Vordenker, Mengzi, einer der bedeutendsten Nachfolger von Konfuzius, meinte dagegen, der Mensch wäre von Natur aus gut, und nur die Umwelt und schlechte Erfahrungen entfernten ihn von seinem guten Kern. Das ist aber gar nicht so gegensätzlich, wie es auf den ersten Blick erscheint, denn beide glaubten, dass durch das Lernen die in jedem Menschen schlummernden Tugenden zum Vorschein gebracht werden könnten.«
»Interessant, deine Philosophen. Und was glaubst du ?«
Tian Tang lächelt: »Ich glaube beiden.«
Oda seufzt. Dass er so antwortet, hätte sie sich denken können. Sie widersteht dem Drang, nach draußen zu gehen und einen Zigarillo zu rauchen, und nimmt stattdessen einen Schluck Wein. Man kann ja ein Laster durch das andere ersetzen.
Die feuchte Kälte kriecht durch Nikos Ledersohlen. Verdammt, wo bleibt der Kerl? Wehe, der verarscht ihn! Das kommt davon, wenn man Kompromisse macht. Niko wollte ihn ins Little Italy bestellen, aber der Mann lehnte ab. Hatte wohl Angst, erkannt zu werden, es treibt sich ja genug Schickeria in dem Lokal am Steintor herum. Also schlug Niko das
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