Todesspur
dafür, dass der Bock kastriert wird«, lässt ihn seine Ehefrau wissen – und das nicht zum ersten Mal.
»Gute Nacht!« Völxen dreht sich mürrisch auf die Seite. Das Nickerchen vor dem Fernseher rächt sich, natürlich kann er jetzt nicht einschlafen, obwohl Sabine, wie versprochen, das Licht ein paar Minuten später löscht. Der Fall des toten Jungen kreist in seinem Kopf herum. Haben wir alles richtig gemacht? Hätte man diesen Ruben Döhring nicht noch mehr unter Druck setzen sollen? Oder hat der neue Staatsanwalt doch recht, und man sollte diese Hainholz-Spur intensiver verfolgen? Er wird morgen Fernando darauf ansetzen, und sei es nur, damit dieser Schnösel endlich Ruhe gibt. Und hoffentlich beeilt sich die Telekom mit den Verbindungsdaten … morgen, es gibt viel zu tun, morgen … Er muss gerade erst eingeschlafen sein, als Sabine an seiner Schulter rüttelt. »Bodo! Aufwachen! Dein Handy klingelt.«
Tatsächlich, da rasselt etwas, und jetzt geht auch noch das Licht an. Er fährt hoch, hält sich die Hand vor die geblendeten Augen und tastet nach dem lärmenden Gerät, das Sabine ihm hinhält. Es dauert, bis er genug sieht, um die Annahmetaste zu finden. »Nun mach doch«, hört er Sabine ungeduldig murmeln.
Es ist Jule Wedekin, die diese Woche Bereitschaftsdienst hat. Männliche Leiche hinter der Kreuzkirche, erschossen. Ob sich Völxen den Toten ansehen möchte.
»Ja, ja, sicher. Wie spät ist es eigentlich?« So gerädert und aus dem Tiefschlaf gerissen, wie er sich fühlt, muss es mitten in der Nacht sein.
»Fünf Uhr siebenundzwanzig.«
Doch schon. »Ich komme hin. Verständigen Sie schon mal die Spurensicherung und den Kollegen Rodriguez.«
Ob er auch Oda dazuholen soll? Lieber nicht. Sie ist unausgeschlafen immer so unausstehlich, und man muss ja nicht gleich in voller Besetzung am Tatort auflaufen.
Sabine hat sich bereits ihren Morgenmantel übergezogen. »Ich mach mal Kaffee.«
»Danke dir.« Völxen ist noch so müde, dass er beinahe über Oscar stolpert, der sich im Flur mit einem Filzpantoffel beschäftigt.
Das fehlte noch, jetzt ein zweiter Mordfall. Er wird Verstärkung anfordern müssen – und sie höchstwahrscheinlich nicht bekommen. Völxen quält sich aus dem Bett, die Radtour von gestern steckt ihm noch in den Knochen. Könnten Leichen nicht generell ein bisschen später gefunden werden? Vielleicht so ab acht? Aber nein – immer stolpern frühmorgens die ersten Hundespaziergänger, die frühen Jogger, die Zeitungsausträger, die Leute von der Müllabfuhr und die Pflegerinnen in den Altenheimen über die Toten der Nacht.
Oda Kristensen steigt vorsichtig aus dem Bett und zieht sich den bunt gestreiften Morgenmantel über. Dabei wirft sie einen Blick auf den schlafenden Mann, von dem nur das lackschwarze Haar zu sehen ist. Wird er lang genug schlafen, bis Veronika aus dem Haus ist? Oder soll sie ihre Tochter vorwarnen? Bisher haben sich Oda und Tian immer in seiner Wohnung im Zooviertel getroffen, und mit seinen Vorgängern hat sie es ähnlich gehalten. Aber andererseits: Veronika ist kein Kind mehr und sie kennt Tian Tang. »Der Chinese ist knuffig«, hat sie neulich bemerkt. »Und gar nicht so klein, wie die sonst immer sind.« Herrgott, das Mädchen ist siebzehn, sie wird schon keinen seelischen Schaden davontragen, wenn sie mitbekommt, dass ihre Mutter ihren Liebhaber bei sich beherbergt hat. Bis vor Kurzem hatte sie ja selbst einen Freund, der manchmal hier übernachtet hat – auch wenn Veronika offenbar denkt, ihre Mutter wüsste nichts davon.
Mütter! Oda muss über sich selber lächeln, während sie vor dem Schrank steht, dessen Inhalt fast ausschließlich aus schwarzer Kleidung besteht. Es ist eine Angewohnheit, mehr steckt nicht dahinter. Bequemlichkeit. Schwarz ist mit Schwarz einfach gut zu kombinieren, man muss sich keine Gedanken machen, ob einem die Farbe steht und ob sie mit den anderen Farben harmoniert. Schwarz passt außerdem gut zu ihren eisblauen Augen und den hellblonden Haaren, die sie im Dienst stets zu einem straffen Knoten windet. Inzwischen hat man sich dort so an ihre schwarze Erscheinung gewöhnt, dass sie jedes Mal, wenn sie doch einmal etwas Farbiges trägt, gefragt wird, ob sie frisch verliebt sei. Lediglich diesen bunt gestreiften Morgenmantel hat sie sich neulich gestattet, aber den bekommt ja auch nur ein eingeschränkter Personenkreis zu Gesicht.
Die Bettdecke gerät in Bewegung. Tian blinzelt, streckt sich lange und ausgiebig wie
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