Todesspur
nichts für mich, der würde mich nur ausnutzen und lauter so Mist!«
Womit er ja auch recht hat, denkt Oda und fragt das Mädchen: »Und wo finden wir ihn?«
22
Erst nach anhaltendem Klingeln öffnet sich die Wohnungstür der Familie Nazemi gerade so weit, dass ein etwa zehnjähriges Mädchen die beiden Beamten misstrauisch beäugen kann. Drinnen läuft ein Fernseher, Werbung. Völxen zeigt ihr seinen Dienstausweis. »Wir möchten zu Tahir.«
»Der ist nicht da.«
»Bist du seine Schwester?«
»Ja.«
»Und wo finden wir ihn?«, fragt Fernando. Das dunkle, lockige Haar des Mädchens ist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie kommt ihm bekannt vor, er überlegt angestrengt, wo er sie schon einmal gesehen haben könnte.
»Weiß ich nicht.« Die Luft, die durch den Türspalt nach draußen dringt, riecht abgestanden.
»Ist sonst jemand zu Hause?«
Sie zögert ganz kurz, ehe sie sagt: »Mein kleiner Bruder.«
»Wie alt ist der?«
»Fünf.«
»Hast du eine Ahnung, wo Tahir stecken könnte?«
»Nö. Keine Ahnung.«
»Okay. Wir kommen wieder«, verspricht Fernando. Die Tür wird zugezogen. Völxen tritt zur Seite und legt den Finger an die Lippen. Drinnen hört man eine Frauenstimme in einer fremden Sprache etwas rufen. Dann die Stimme des Mädchens. Ihrer kurzen Rede folgt eine Kaskade schriller Laute, gefolgt vom Geschrei eines Kindes und dem Geschrei der Frau beim Versuch, das Geschrei des Kindes zu übertönen. Völxen und Fernando lauschen noch eine Weile dem häuslichen Treiben, aber es scheint tatsächlich sonst niemand in der Wohnung zu sein. Sie gehen die zwei Treppen wieder hinab, vorbei an Schuhregalen, einem Dreirad, Leergut. Die Wände des Hausflurs sind voller Graffitis; die üblichen Obszönitäten, ein paar arabische Schriftzüge und die Buchstaben PKK .
Jetzt fällt es Fernando wieder ein, woher er das Mädchen kennt: Die Kleine hat ihn gestern nach dem Trommel-Workshop um ein Autogramm gebeten, nachdem seine Visitenkarten für allgemeine Erheiterung gesorgt hatten. Ein Moment seines Lebens, den er bereits erfolgreich verdrängt hat.
Dann stehen die beiden wieder vor dem Mietshaus, von dem der Putz bröckelt. Die Grünanlagen sind als solche nur schwer zu erkennen, der Rasen ist braun mit kahlen Flecken, die Büsche ins Kraut geschossen. Eine Krähe pickt an einem Stück Pappe herum, zwei Jungs spielen Fußball in einem Garagenhof. Die Tore sind rostig, davor wächst Unkraut durch das Pflaster. Ein Werbeschild der GBH , Gesellschaft für Bauen und Wohnen, auf der anderen Straßenseite verheißt Großes, nämlich eine Modernisierungsoffensive . Und tatsächlich, die Blocks gegenüber machen einen sauberen, ordentlichen Eindruck.
Eine alte Frau, die einen Einkaufstrolley hinter sich herzieht, kommt den Gehweg entlang auf sie zu. Ein schäbiger, schlammfarbener Trenchcoat schlackert um ihre dünne Gestalt, das kastanienbraun gefärbte Haar versteckt sich unter einem kessen schwarzen Hütchen, das auch schon bessere Tage gesehen hat. »Sind Sie von der Stadt?«, fragt sie Völxen und Fernando.
»Nein«, antwortet Völxen, aber die Frau hat bereits zu schimpfen angefangen: »Eine Sauerei ist das! Schauen Sie nur – die da drüben, die kriegen alles neu gemacht. Nur wir nicht. Wir vom Bömelburgviertel schauen mal wieder in die Röhre! Unseren Komplex hier hat die Stadt nämlich vor sechs Jahren verkauft. Für 52 Millionen. Davon werden jetzt die anderen saniert. Soziale Stadt , die Neue Mitte von Hainholz. Aber ich sag Ihnen was: Ich brauche keine ›Soziale Stadt‹ und keine ›Neue Mitte‹, ich möchte eine Dusche, die funktioniert, und Fenster, durch die es nicht reinzieht. Und nicht lauter Gesindel im Haus. Wenn die Türkin über mir ihre Gören badet, steigt das Wasser in meiner Wanne, können Sie sich das vorstellen?« Ihre grauen, harten Augen mustern den Kommissar. Der auberginenfarbene Lippenstift hat sich bis in die vielen kleinen Fältchen um ihren Mund herum verkrochen.
»Nein«, antwortet Völxen wahrheitsgemäß und fragt: »Wem gehören denn jetzt diese Häuser?«
Die Frau winkt ab. »Die werden dauernd verkauft. Erst waren es Amis, dann Holländer, dann Australier, das muss man sich mal vorstellen, und jetzt ist es eine Schweizer Immobilienfirma. Aber die tut auch nichts. Immer wechseln die Verwalter, man weiß nie, an wen man sich wenden soll. Aber das ist der Plan, wissen Sie, das hat Methode. Die lassen unsere Häuser mit Absicht verfallen, und wenn dann nichts
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