Todesspur
Schultern.
»Gab es noch andere Mädchen, mit denen er ›ab und zu‹ zusammen war?«
»Keine Ahnung«, kommt es schroff.
»Warst du verliebt in ihn?«
»Das ist doch jetzt egal. Er ist tot, verdammt!« In ihren braunen Samtaugen beginnt es zu glitzern.
Oda lächelt sie mitfühlend an. »Es ist schlimm, wenn man in jemanden verliebt ist, der einen nur ›gern mag‹. Das ist fast schlimmer, als wenn er einen gar nicht beachtet, nicht wahr?«
»Wenn Sie meinen.«
»Du warst ein paarmal bei ihm zu Hause, sagt Olafs Mutter.«
»Ja, und? Ist das verboten?«, kommt es trotzig.
»War er auch mal hier?«
Gwen schüttelt den Kopf.
Nun richtet Jule das Wort an Gwen: »Du hast gestern angegeben, dass du am Sonntagabend in deinem Zimmer gelernt hast, stimmt das?«
»Ja, klar.«
»Von wann bis wann genau?«
»Was? Keine Ahnung. Den ganzen Abend halt. Jedenfalls bis zehn. Danach hab ich ferngesehen, dann bin ich schlafen gegangen.«
»Kann das jemand bezeugen? Dein Vater?«
»Der kam erst später, so um elf, halb zwölf. Ich hab schon halb gepennt, ihn bloß noch gehört. Wieso fragen Sie das?«
»Wir überprüfen routinemäßig alle Alibis«, schwindelt Jule, und Oda will wissen: »Seit wann singst du bei den Grizzlys im Chor?«
»Seit dem Sommer ungefähr.«
»Gab es eine Vorgängerin?«
»Nein. Fiona und ich waren die ersten. Davor hatten sie keinen Chor.«
»Wieso gerade ihr beiden?«
»Da war so ein Aushang in der Schule am Schwarzen Brett. Daraufhin haben Fiona und ich uns gemeldet.«
»Wart ihr die Einzigen?«
»Nö. Es haben sich über vierzig Mädchen gemeldet. Das hat Cornelius zumindest immer behauptet. Sie haben zehn vorsingen lassen, und Fiona und ich waren es dann eben.«
»Weil ihr so gut wart?«
»Klar, warum denn sonst? Na ja, ein bisschen haben sie wohl auch auf das Aussehen geachtet.«
»Ist Fiona deine Freundin?«
»Nein, sie geht nur in meine Klasse. Außerhalb der Grizzlys haben wir nicht allzu viel miteinander zu tun.«
»Magst du sie nicht?«
»Was heißt hier ›mögen‹? Fiona ist ’ne Schlampe.«
»Wie meinst du das?«
»Na, wie schon? Ich mag nicht, wie sie sich anzieht und schminkt. Aber seit wir im Chor sind, verstehen wir uns trotzdem ganz gut.«
»War es schwierig, in den Chor zu kommen?«
Gwen schnauft. »Das hab ich doch gerade erklärt.«
Oda beobachtet das Mädchen. Sie zerrt immer noch an den Ärmeln ihres Sweatshirts, die schon ganz ausgeleiert sind.
»Uns ist zu Ohren gekommen, dass es da gewisse Gefälligkeiten sexueller Art gab, die verlangt wurden, damit man im Chor sein durfte.«
Über Gwens Magnolienteint huscht eine zarte Röte. »Das ist nicht wahr«, murmelt sie. »Wer hat den Scheiß erzählt, Fiona?«
Oda und Jule tauschen einen Blick.
»Es gibt da ein paar Chatprotokolle auf Olafs Computer …«, behauptet Oda.
»Mir egal, was die chatten«, murmelt Gwen sichtlich verlegen. »Warum wollen Sie so was überhaupt wissen? Denken Sie, ich habe ihn umgebracht? Warum sollte ich das tun?«
»Eifersucht, enttäuschte Liebe, Wut, Scham … es findet sich immer ein Grund«, antwortet Oda.
Gwen sieht Oda böse an: »So ein Quatsch! Wie soll ich das denn gemacht haben?«
Diese Frage stellt sich Oda allerdings auch. »Wie alt bist du, Gwen?«
»Ich werde im November fünfzehn.«
»War Olaf der erste Junge, mit dem du Sex hattest?«
Gwen verschränkt die Arme und antwortet patzig: »Mein Privatleben geht keinen was an!«
»Es soll zwischen Olaf, Cornelius und Florian so eine Art Wettbewerb gegeben haben. Sie nannten es ›Jungfrauen knacken‹.«
Das Mädchen springt auf: »Hören Sie auf, Olaf schlechtzumachen, Sie sind genau wie mein Vater. Er ist tot! Finden Sie lieber seinen Mörder!«
»Setz dich bitte wieder hin«, sagt Oda mit ruhiger Strenge.
Gwen kommt der Aufforderung nach, und Jule hält Gwen die Handynummer, die sie sich vorhin notiert hat, unter die Nase. »Wem gehört diese Nummer?«
»Wieso?«
»Derjenige hat am Samstagmittag mit Olaf telefoniert.«
Gwen starrt die Nummer an, sie wirkt verwirrt. »Das ist die von meinem Vater. Aber warum … ?« Gwen unterbricht sich.
Oda und Jule können förmlich zusehen, wie es in ihrem Kopf arbeitet. Nach einigen Sekunden reißt es sie erneut vom Stuhl, ihre Stimme überschlägt sich, als sie herausplatzt: »Dann fragen Sie doch mal meinen Vater, wo er am Sonntagabend war! Der konnte Olaf nämlich überhaupt nicht leiden, der hat ihn dauernd schlechtgemacht und mir eingeredet, er sei
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