Todesspur
Haarnadelkurven, die kein Ende zu nehmen schienen.
Die Dämmerung brach herein, und beiderseits der Straße ragten hohe Tannen auf, deren Äste sich unter dem Gewicht des gefrorenen Schnees bogen. Die Bäume rückten immer näher an den Straßenrand heran und bildeten Tunnel, die in Paula ein Gefühl auslösten, eingesperrt zu sein. Obwohl Tweed die Heizung voll aufgedreht hatte, sank die Temperatur im Innern des Espace noch weiter.
Erst als sie die tieferen Lagen erreicht hatten, kamen sie aus den Tunneln heraus. Sie sahen Licht in den Häusern kleiner Dörfer, die sich in Talsenken duckten. Ihre Scheinwerfer glitten über kleine Gebäude mit roten Ziegeldächern, die in der Nähe der Schornsteine, deren Wärme den Schnee zum Schmelzen gebracht hatte, zu sehen waren. Die Balkone sahen aus, als könnten sie jeden Augenblick unter der Last des auf ihnen angehäuften Schnees herunterbrechen.
Sie fuhren durch die Kleinstadt Munster, rumpelten über Kopfsteinpflaster und erreichten schließlich die Vororte von Colmar. Gerade waren sie an einer Tankstelle mit einem kleinen Cafe vorbeigefahren, als von irgendwoher ein Motorradfahrer auftauchte und sich neben den Espace setzte. Eve, die während des Vorfalls an der Klippe völlige Ruhe bewahrt hatte, hob ihr Gewehr. Paula hatte bereits ihren Browning in der Hand, als Tweed die Fahrt verlangsamte und sie im Rückspiegel sah.
»Um Gottes willen, runter mit den Waffen, alle beide!«
rief er.
Er stoppte den Espace, und der Motorradfahrer, an dessen Antenne ein Union Jack flatterte, hielt ebenfalls an. Tweed ließ den Motor laufen und schaute über die Schulter, bevor er die Tür öffnete.
»Paula, halten Sie Ihren Browning auf ihn gerichtet, aber schießen Sie nicht, solange er keine Waffe zieht.«
Er öffnete die Tür, und der Motorradfahrer stand mit erhobenen Händen neben seiner Maschine auf der Straße.
»Sie sind Tweed. Ich habe stundenlang auf Sie gewartet.
Ich bin Barton Ives, Special Agent, FBI…«
»Woher wußten Sie, daß ich hier vorbeikommen würde?«
fragte Tweed.
»Cord Dillon sagte mir, Sie müßten auf der Rückfahrt aus den Bergen diese Stelle passieren. Das war am Nachmittag.
Ich kann mich ausweisen …«
»Seien Sie sehr vorsichtig, wenn Sie ihren Ausweis aus der Tasche holen«, warnte Paula, als der Fremde in seine Lederjacke griff.
Er zog einen Ausweis heraus und reichte ihn Tweed, der ihn im Licht der Innenbeleuchtung betrachtete. Da die Fahrertür offen war, fiel die Temperatur im Innern des Espace rapide ab. Newman tauchte hinter dem Fremden auf und drückte ihm den Lauf seines Smith & Wesson in den Rücken.
»Das ist eine Waffe«, warnte er.
»Ja, das habe ich mir gedacht. Vernünftig von euch, all diese Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Aber stehen wir hier nicht geradezu auf dem Präsentierteller?«
»Wohl kaum«, sagte Newman.
Marler war aus dem Kombi ausgestiegen und hatte an der Seitenfront des Cafes neben der Tankstelle Posten bezogen.
Er hatte den Reißverschluß seiner pelzgefütterten Jacke geöffnet, um die Tränengaspistole hineinzustecken. Er hielt das Armalite schußbereit in der Hand und ließ den Blick ständig über die ganze Gegend schweifen. Butler, der auf seinem Motorrad umgekehrt war, hatte sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite postiert.
Tweed hatte sich den Ausweis, der echt zu sein schien, genau angesehen, hatte das Foto mit Ives’ Aussehen verglichen. Der Amerikaner hatte seinen Helm abgenommen und den Schal von seinem Gesicht heruntergezogen. Was Tweed von der Identität des Mannes überzeugte, war die Tatsache, daß er der Beschreibung entsprach, die Dillon von ihm gegeben hatte. Endlich hatte er den echten Barton Ives vor sich.
»Steigen Sie ein«, befahl Tweed, »setzen Sie sich neben mich und behalten Sie die Hände auf dem Schoß. Hinter Ihnen sitzen Leute mit Waffen und nervösen Fingern. Bob, verstauen Sie seine Maschine im Heck des Espace.«
Tweeds sorgfältige Überprüfung hatte nicht länger als eine Minute gedauert. Er signalisierte Marler und Butler, daß sie weiterfahren wollten. Dann wartete er, bis Newman in den Kombi zurückgekehrt war.
»Ich muß mit Ihnen allein sein«, flüsterte Ives. »Ich habe eine unglaubliche Geschichte zu erzählen. Und ich vermute, Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie es zu tun haben.
Wahrscheinlich werden Sie mir kein Wort glauben. Es ist einfach unvorstellbar, aber wahr.«
»Nicht jetzt«, erwiderte Tweed. »Wir müssen so schnell wie möglich
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