Todesspur
»dann träumen Sie – wenn man bedenkt, mit welch einer gewaltigen Organisation wir es zu tun haben …«
Oben in den Vogesen konnte Norton gerade noch verhindern, daß er zu einem Eisblock gefror, indem er bei voll aufgedrehter Heizung den Motor laufen ließ. Eine Weile zuvor hatte er über eine stark gestörte Verbindung einen Bericht von Mencken über seine Fortschritte erhalten.
Fortschritte! Wenn Mencken in greifbarer Nähe gewesen wäre, hätte Norton ihn wahrscheinlich erwürgt. Mencken hatte seinem Chef unumwunden und mit dürren Worten von dem Fiasko des Hinterhalts an der D 417 berichtet.
»Wollen Sie damit sagen, daß der Nestle-Laster abgestürzt ist, als die Klippe herunterkam?« fragte Norton ungläubig.
»Es war einfach Pech …«, begann Mencken, froh, daß er meilenweit von Norton entfernt in der Nähe von Munster war.
»Pech? Blödsinn!« brüllte Norton. »Sparen Sie sich die faulen Ausreden. Was war mit Phase Zwei?«
»Der riesige Baumstamm, den wir auf sie herabrollen wollten, war festgefroren. Ebenso der große Bagger, den wir benutzen wollten…«
»Und Tweeds Konvoi ist jetzt wo?« Norton verlor nur selten seine eiserne Selbstbeherrschung und hatte sich auch jetzt so fest im Griff, daß er den nächsten Schritt planen konnte. »Und wo sind die Wagen Gelb, Orange und Braun – Ihre Reserve? Ich hoffe, Sie wissen es«, fügte er sarkastisch hinzu.
»Auch die Wagen Orange und Braun sind eingefroren. Ich mußte Gelb zurückrufen, damit er ihnen Starthilfe geben konnte. Ich habe alle drei Wagen auf der N 415 und durch Kaysersberg zurückgeschickt. Ich hatte gehofft, Tweed noch zu erwischen, aber vermutlich waren wir zu spät daran. Wir konnten nicht auf der anderen Route zurückkehren – die war durch die heruntergebrochene Klippe blockiert.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind, bis ich mich wieder mit Ihnen in Verbindung setze. Es ist noch etwas zu erledigen – und da ich will, daß es ordentlich getan wird, werde ich das selbst übernehmen. Behalten Sie die Reserve in Colmar, bis ich mich wieder melde …«
Norton, der zu seinem Rendezvous mit dem Mann mit der knarrenden Stimme um 18 Uhr am Lac Noir verabredet war, richtete es ganz bewußt so ein, daß er bereits eine Viertelstunde früher dort war. Er schaltete die Scheinwerfer aus, ließ aber den Motor laufen, um nicht zu erfrieren.
Die Nacht war hereingebrochen, und es war noch kälter geworden. Er öffnete sein Fenster einen Spaltbreit und ergriff mit der rechten Hand einen auf seinem Schoß liegenden .38er Browning. Bevor er die Scheinwerfer ausgeschaltet hatte, war ihr Licht auf eine niedrige Steinmauer und das schwarze Wasser des stillen Sees dahinter gefallen.
Es gab nicht viel, was Norton aus der Ruhe brachte, aber das völlige Fehlen von Geräuschen, die unglaubliche Stille und die gruftähnliche Atmosphäre gingen ihm an die Nerven. Wo zum Teufel steckte der Mann mit der knarrenden Stimme?
Kein anderes Fahrzeug war zu sehen, keine menschlichen Behausungen, kein menschliches Wesen. Er benutzte die linke Hand zum Einschalten einer starken Taschenlampe und ließ ihr Licht langsam auf der Oberkante der Steinmauer entlangwandern. Dabei entdeckte er die auf der Mauer stehende Holzkiste.
Er glitt aus dem Wagen und machte die Tür schnell wieder zu, um nicht im Licht der Innenbeleuchtung dazustehen.
Eine Minute lang wartete er und lauschte, bis die Kälte durch seinen Astrachanmantel drang und ihn bewog, sich langsam der Kiste zu nähern. Sie war alt, ungefähr dreißig Zentimeter lang und ebenso hoch, und der Deckel war geschlossen. Ihm kam der Verdacht, daß sie eine Falle sein konnte. Nein, das ergab keinen Sinn. Der Mann wollte das Geld.
Und das befand sich nach wie vor unter Bewachung in der Obhut von Louis Sheen in einem Zimmer im Hotel Bristol. Norton hatte der Gedanke Spaß gemacht, daß Sheen ständig mit einer Handschelle an den Koffer gefesselt war.
Er befreite sich nur dann von der Kette, wenn er duschen wollte, doch selbst dann nahm er den Koffer immer mit.
Norton betrachtete die alte Kiste. Er war immer noch argwöhnisch. Im Licht der Taschenlampe waren keine Drähte zu erkennen. Mit der Mündung seines Browning hob er vorsichtig den Deckel an, bis er hineinschauen konnte. Die Kiste schien leer zu sein. Er atmete einen großen Schwall der eisigen Luft ein, hob den Deckel vollständig an, schaute hinein und fluchte gotteslästerlich.
Auf dem Boden lag ein Blatt Papier, auf das jemand mit einem Filzstift etwas
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