Todesstatte

Vielleicht gibt es noch andere Interpretationen.«
    Fry sah ihn an, als sie den Telefonhörer in die Hand nahm. »Ja, ich bin mir sicher. Ich kann mich langsam in seine Gedanken hineinversetzen, Ben. Hast du nicht gesagt, dass wir versuchen sollten, das zu tun? Tja, genau das mache ich.«
    Â»Der Detective Inspector hat doch gesagt, wir sollen nicht mehr wie die aufgescheuchten Hühner durch die Gegend rennen...«
    Doch sie unterhielt sich bereits mit irgendjemandem am Telefon. Cooper betrachtete die Urne auf seinem Schreibtisch und die Vermisstenliste. Immerhin konnte ihm ausnahmsweise einmal niemand vorwerfen, dass er auf eigene Faust handeln würde. Es war Frys Entscheidung.
    Und sie konnte durchaus recht haben. Er hatte die Botschaften im Gegensatz zu ihr zwar nicht auswendig gelernt, erinnerte sich aber an die Zeile aus dem zweiten Anruf, die sie vergessen hatte zu zitieren. Ihr könnt es mit eigenen Augen sehen. Ihr könnt Zeuge der letzten Augenblicke werden . Womöglich durften sie nicht mehr viel Zeit verlieren.
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    Eine halbe Stunde später fuhr Cooper wieder zurück nach Wardlow. Matt hatte ihn daran erinnert, dass die Straße zwischen Wardlow und Monsal Head einen einheimischen Namen hatte – Scratter . »Scrat« war ein Dialektausdruck für »kratzen« oder »scharren«, und Pferde mussten sich früher »scharrend« den Hügel hinaufquälen. Manche behaupteten allerdings auch, der Straßenname stamme von skratti ab, dem skandinavischen Wort für »Dämon«. Der Teufel selbst hieß in der hiesigen Überlieferung »Old Scratch«.
    Die Wikinger hatten dieser Gegend ein beachtliches Vermächtnis hinterlassen. Derbyshire hatte einst zu Dänemark gehört, und in den Höhlen unter dem Nottingham Castle war eine Invasorenarmee stationiert gewesen. Die Wikinger waren ein abergläubisches Volk gewesen und hatten die Landschaft mit Dämonen und Ungeheuern bevölkert, die in Scharen in jeder dunklen Ecke und an jedem unbekannten Ort auf der Landkarte lauerten.
    Ihre Nachfahren hatten die unheimlichen Geschichten im Lauf der Jahrhunderte trotz all der neumodischen Religion und Rationalität nur widerwillig aufgegeben. Einige dieser Legenden waren so tief in den Hügeln und in den schattigen Tälern verwurzelt, dass sie sich niemals vertreiben lassen würden. Selbst hinter Ortsbezeichnungen verbargen sich Dämonen.
    Â»Ben, dieser Professor Robertson«, sagte Fry, als sie durch Wardlow fuhren, »ist ein komischer Kauz, findest du nicht?«
    Â»Er ist schon in Ordnung. Er ist nur ein bisschen...« Cooper zögerte und suchte nach dem richtigen Wort. »Na ja, vielleicht ein bisschen besessen. Er hat eben ein sehr spezielles Interesse und hält sich auf diesem Gebiet für den größten Experten weltweit. Er gibt gern mit seinem Wissen an. Dadurch wirkt er etwas...«
    Â»Komisch?«
    Â»Nur weil er ein bisschen exzentrisch und von Todesritualen besessen ist, heißt das noch lange nicht, dass er jeden Abend nach Hause geht und an den Leichnamen seiner Opfer seine nekrophilen Fantasien auslebt.«
    Â»Hat er mit dir über Nekrophilie gesprochen?«
    Â»Nein.«
    Â»Dann ist das also auf deinem eigenen Mist gewachsen?«
    Cooper seufzte. »Anscheinend hast du dein Urteil über Freddy Robertson schon gefällt, obwohl du überhaupt keine Beweise hast. Ist das so eine Art Intuition, Diane?«
    Â»Intuition, Blödsinn. Das ist Erfahrung. Mir sind schon genug Perverse begegnet, dass ich einen erkenne, wenn ich ihn sehe.«
    Â»Na schön.«
    Â»Ist der Professor eigentlich verheiratet?«
    Â»Das weiß ich nicht. Er hat nie eine Mrs. Robertson erwähnt.«
    Â»Kannst du das rausfinden?«
    Â»Vermutlich schon.«
    Cooper hatte angenommen, dass Robertson Junggeselle oder geschieden war. Männer mit Obsessionen waren schwierige Partner. Doch man konnte sich nie sicher sein – es war schon erstaunlich, zu welchen Kompromissen manche Leute in ihren Beziehungen bereit waren.
    Â»Oh, das habe ich ganz vergessen, dir zu erzählen«, sagte Cooper. »Mein Besuch bei Mrs. Gill war richtig unangenehm. Die ganze Verwandtschaft war da, um am Nachmittag zur Bestattung zu gehen. Das heißt, zu Audrey Steeles zweiter Bestattung. Sie haben mich ausgefragt, wie wir mit den Ermittlungen vorankommen.«
    Â»Was hast du ihnen gesagt?«
    Â»Ich konnte ihnen nicht