Todesstatte
verdeckt von der Vegetation, die um sie gewachsen war, und die von Moos grün verfärbten langen Knochen, die aussahen wie die Wurzeln eines exotischen Baumes. Nachdem das Gewirr aus Dornensträuchern und Labkraut entfernt worden war, waren die sorgfältig gefalteten, skelettierten Hände und die ausgestreckten Beine zum Vorschein gekommen, die sich an den Fersen fast berührten, während die Zehen nach auÃen gedreht waren.
Dr. Jamieson hatte eine Meinung zu den FüÃen. Er war der Ansicht, dass sie sich nur deshalb nicht mehr in ihrer ursprünglichen Stellung befanden, weil Aasfresser an dem verwesten Fleisch gezerrt hatten, und glaubte, sie seien zum Todeszeitpunkt und womöglich noch einige Zeit danach eng geschlossen gewesen.
Was Cooper irritierte, war die Formulierung »einige Zeit danach«. Die Fundstelle und die Position des Leichnams vermittelten den Eindruck, als seien sie sorgfältig ausgewählt worden, und deuteten auf ein Ritual hin. Tatsächlich legte die Art und Weise, wie sich das Gestrüpp den Weg durch die Knochen gebahnt hatte, die Vermutung nahe, dass es sich um eine Opfergabe an die Natur handelte, um ein Menschenopfer, das langsam von Mutter Erde eingefordert wurde. Doch das war ganz sicher nur ein Hirngespinst.
Er suchte die Nummer des Anthropologen heraus und rief ihn abermals an. Manchmal musste man einfach auf ein bisschen Glück hoffen.
»Besteht irgendeine Chance, die Todesursache zu bestimmen?«, fragte Cooper.
»Sie machen wohl Scherze.«
»Ãberhaupt keine Anhaltspunkte?«
Dr. Jamieson seufzte. »Ich habe nach Anzeichen für Verletzungen des Skeletts gesucht, die Aufschluss darüber geben könnten, wodurch der Tod eingetreten ist, oder uns sogar verraten könnten, was nach dem Tod mit dem Leichnam passiert ist.«
»Und?«
»Nichts. Keine Schnittverletzungen, keine sichtbare Fraktur. Nur ein gewisses Maà an postmortalen Schäden wie ein paar angenagte Knochen an den Extremitäten.«
»Aasfresser«, sagte Cooper. »Füchse, Ratten.«
»Oder irgendwelche Vögel. Es fehlen zwei Handwurzelknochen â das Hakenbein und das Kopfbein. Falls Sie zufällig darauf stoÃen: Bei dem einen handelt es sich um einen würfelförmigen Knochen mit hakenförmigem Fortsatz, der andere erinnert ein wenig an eine halb geschnitzte Miniaturbüste. Sie sind klein, aber ziemlich markant. AuÃerdem fehlen einige FuÃwurzelknochen vom linken FuÃ, ansonsten sind die Extremitäten allerdings weitgehend intakt. Und das Zungenbein fehlt natürlich auch.«
»Warum âºnatürlichâ¹?«
»Das Zungenbein befindet sich unmittelbar oberhalb des Kehlkopfs, wo die Zungenmuskeln verankert sind. Es ist der einzige Knochen im Körper, der keinen anderen Knochen berührt. Wenn also das Gewebe verschwindet, von dem es umgeben ist, fällt das Zungenbein heraus und geht unter Umständen auf Nimmerwiedersehen verloren. Sie können von Glück reden, dass die Schneidezähne noch vorhanden sind, da sie nur eine Wurzel haben. Sobald das Zahnfleisch verwest ist, hält sie nichts mehr im Kiefer.«
»Doktor, ist das Zungenbein nicht der Knochen, der manchmal bricht, wenn ein Opfer erwürgt wird?«
»Ja, das ist richtig.«
»Und bei skelettierten Ãberresten wäre eine Beschädigung des Zungenbeins der einzige Hinweis darauf, dass das Opfer erwürgt wurde?«
»Dazu sollte ich eigentlich lieber nichts sagen. Es stimmt allerdings, dass wir nur nach Frakturen suchen können, wenn kein Weichgewebe mehr vorhanden ist. Es sei denn, es gibt irgendwelche Anzeichen für Bruchstellen oder Kerben in den Knochen, die von Messerverletzungen herstammen, dann kann der Zustand des Zungenbeins durchaus sehr wichtig bei der Bestimmung der Todesursache sein. Aber nur, wenn Erdrosseln die Ursache war.«
Cooper war bewusst, wie aussichtslos der Gedanke war, der ihm in diesem Moment kam, er sprach ihn aber trotzdem aus.
»Wir müssten also eine weitere Suche an der Fundstelle durchführen, wenn wir diesen Knochen finden wollten?«
»Es ist wirklich ein sehr kleiner Knochen«, sagte der Anthropologe. »In Anbetracht der Tatsache, wie es am Fundort aussieht, würden Sie nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen suchen. Und vergessen Sie nicht, dass das Zungenbein von der Fundstelle verschwunden sein könnte.«
»Das klingt nicht besonders
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