Todesstatte
nichts.«
»Ich will genau wissen, wie das passiert ist und was sie unternehmen werden.«
Matt griff nach seinem Arm und packte ein wenig zu fest zu. Sein Gesicht war noch etwas dunkler angelaufen als sonst, und er atmete schwer.
»Ich warne dich â fang nicht an, wahllos auf alle einzuschlagen, Ben. So wirst du deine Schuldgefühle auch nicht los.«
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Unter ihren FüÃen lag zerbröckelte Erde, die aussah wie Glasscherben. Der Regen der vergangenen zwei Tage hatte ihre Beine mit Schlamm besprenkelt, der jetzt dunkel und feucht zwischen ihren Zehen und in einer alten Bruchstelle an ihrem linken Oberschenkel lag. Ameisen waren aus dem verfaulten Laub auf dem Waldboden aufgetaucht und krabbelten zwischen den steifen Falten ihres Kleids umher und über ihre Hände. Eine von ihnen verharrte bei den geruchlosen Blumen, ehe sie weiter nach oben kletterte. Doch die Ameise wusste offenbar nicht, was sie tun sollte, als sie beim Kopf ankam, und nahm weder den Himmel noch die Alder-Hall-Wälder zur Kenntnis. Die Ameise nahm nur einen winzigen Teil des Körpers wahr â einen Quadratzentimeter des Halses, dessen Haut weià und hart war und sich glatt anfühlte.
An diesem Nachmittag war jemand in die Wälder gekommen, eine Gestalt, die sich zum Schutz vor dem Wind in einen Mantel und einen Schal gewickelt hatte. Sie hatte die Hände in die Taschen gesteckt und eine Leinentasche über der Schulter getragen, war dem Pfad vom unteren Ende des Alder-Hall-Steinbruchs gefolgt, hatte den Bach überquert und war zwischen den Bäumen den Hang hinaufgeklettert. Am Rand der Lichtung war die Gestalt für ein paar Augenblicke stehen geblieben, ehe sie ins Freie getreten war und sich dann den Weg durch die hohen Weidenröschen gebahnt hatte, ohne deren abgebrochene Stängel wahrzunehmen, die sich an ihren Ãrmeln verfingen und an ihren Jeans hängen blieben.
Als der Besucher bei dem Sockel angekommen war, hatte er seine Leinentasche geöffnet, einen Strauà Blumen herausgeholt und ihn zu FüÃen der Statue gelegt, dann war er einen Schritt zurückgetreten, um das Arrangement zu bewundern. Der Anblick hatte ihm ein zufriedenes Lächeln entlockt. Bei den Blumen hatte es sich um weiÃe Chrysanthemen gehandelt, die zum Tod passten.
MEIN TAGEBUCH DER TOTEN, PHASE EINS
Niemand hat mir gesagt, dass mich die schlimmsten Albträume heimsuchen würden, während ich noch wach bin. Niemand hat mich davor gewarnt, dass ich in der Dunkelheit in meinem Bett liegen würde, die Augen weit geöffnet, und um Schlaf beten würde. Das waren die Stunden, in denen ich Gesichter auf der Tapete zählte und in meinen Kleidungsstücken, die auf einem Stuhl lagen, die Umrisse eines Monsters erkannte. Das war die Zeit, als ich den Geräuschen im Freien lauschte, als ich so genau auf sie lauschte, wie ich konnte, in der Hoffnung, dass die Geräusche in mir auf diese Weise vielleicht verschwinden würden.Wenn diese Stunden schlieÃlich verstrichen waren, blieb nichts mehr übrig auÃer den Geräuschen der Nacht â dem Schlürfen der Dunkelheit, die über mein Dach gekrochen kam.
Irgendetwas lebt in dieser Dunkelheit. Es ist unsere gröÃte Furcht, und wir nennen sie das Unbekannte. Jeder kennt diese Furcht, doch nur wenige wagen es, über sie nachzudenken.Wir wären niemals in der Lage, unser Leben weiterzuleben, wenn wir den feixenden Schemen tatsächlich sehen könnten, der hinter unserem Rücken lauert. Es ist viel besser, so zu tun, als wären wir uns dieses Ungeheuers nicht bewusst.Wir wenden den Blick ab und reden uns ein, es sei nur ein Schatten, den das Sonnenlicht wirft. Als sei es nur ein Windhauch, der durch ein geöffnetes Fenster weht, oder das Rascheln abgestorbener Blätter vor der Tür.
Es ist dieselbe Furcht wie die Furcht eines Kindes, dessen Tür nachts offen stehen muss, damit ein wenig Licht ins Zimmer fällt, oder die einer alten Frau, deren Hand zittert, wenn sie den Riegel zurückschiebt. Letztendlich sind wir alle dazu bestimmt, dieser Dunkelheit, die wir in unseren Träumen kurz erblicken, in die Klauen zu fallen. Dem groÃen Seelenfänger, dem unsichtbaren Schergen, der auf der Türschwelle lauert. Auf welcher Schwelle lauert er wohl, wenn nicht auf der Schwelle zum Tod?
Seht ihr diesen Schatten jetzt? Spürt ihr die Kälte, und hört ihr das Rascheln?
Heutzutage sind meine
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