Todesstatte
anzuhören.
»Ben, bitte ruf mich an. Es ist sehr wichtig.« Dann folgte eine Pause. »Es geht um Mum.«
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Diane Fry bog mit ihrem Peugeot von der Castleton Road in die Grosvenor Avenue ein und hielt schlieÃlich am Randstein vor der Hausnummer 12. Das Haus war einst imposant und eindrucksvoll gewesen, eine freistehende viktorianische Villa in einer baumgesäumten StraÃe. Die Eingangstür schmiegte sich in einen nachempfundenen Säulengang, und zu den Einzimmerappartements im obersten Geschoss gelangte man nur über ein verborgenes Bedienstetentreppenhaus. Doch inzwischen waren die meisten Bewohner Studenten des High Peak College, dessen Campus sich im Westen der Stadt befand.
Fry fand ihre Wohnung oft deprimierend, vor allem, wenn sie leer war. Wardlow hatte sie allerdings auch deprimierend gefunden. Die Gewöhnlichkeit der Ortschaft hatte die Anrufe von der Telefonzelle neben der Kirche noch beunruhigender gemacht.
Obwohl sie Wardlow schlimm genug gefunden hatte, war es längst nicht so hinterwäldlerisch wie die Gegend, die Dark Peak genannt wurde. Dort oben herrschte nur Trostlosigkeit: karges, menschenleeres Moorland, das keinerlei Abwechslung bot. Sie erinnerte sich an ein StraÃenschild, das sie gesehen hatte, als sie das letzte Mal dort gewesen war: SCHAFE AUF 7 MEILEN. Sieben Meilen. Das war die Entfernung von einem Ende von Birmingham zum anderen, von Chelmsey Wood bis Chad Valley. Dazwischen lebte ungefähr eine Million Menschen. Das sagte eigentlich alles.
Nachdem sie sich von den West Midlands hierher hatte versetzen lassen, war sie eine AuÃenseiterin gewesen, das neue Mädchen, das sich erst noch beweisen musste. Zeitweise war das ein ziemlicher Kampf gewesen, genau wie sie es erwartet hatte. Doch sie war zielstrebig, und sie hatte hart gearbeitet. Und jetzt wurde ihr eine Menge Respekt entgegengebracht, allerdings in erster Linie von Menschen, die sie verabscheute.
Fry ging zum Fenster, da sie glaubte, auf der StraÃe ein Auto gehört zu haben. Doch es waren keine Autos zu sehen, nicht einmal FuÃgänger, die auf ihrem abendlichen Nachhauseweg vorbeikamen. Das Einzige, was sie dort drauÃen sehen konnte, war Edendale.
Nein, Moment. Da war doch jemand. An der Ecke trennten sich zwei Gestalten, so nah am Rand ihres Sichtfeldes, dass sie die Stirn gegen die Fensterscheibe drücken musste, um sie zu sehen. Einen Augenblick später kam eine Person ins Blickfeld, die auf das Haus zuging. Angie.
Fry wich vom Fenster zurück, bevor ihre Schwester sie sehen konnte, und ging in die Küche. Zwei Minuten später hörte sie Angies Schlüssel im Türschloss.
»Hallo, Schwester.«
»Hallo. Hattest du einen schönen Tag?«
»Klar.«
»Was hast du gemacht?«
Angie hatte ein geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen, als sie ihre Jeansjacke auszog. Diane war sich nicht ganz darüber im Klaren, was sie ihrer Schwester gegenüber empfinden sollte. Eigentlich hätte sie sich freuen sollen, dass Angie viel besser aussah als bei ihrem Einzug. Ihre Haut war weniger blass, sie hatte keine so dunklen Augenringe mehr, und ihre Handgelenke und Schultern waren nicht mehr so furchtbar dünn und knochig. Jemand, der Angie und sie nicht kannte, hätte vielleicht nicht erraten, welche von ihnen beiden die ehemalige Heroinabhängige war.
Trotzdem war Diane nicht in der Lage, ihren Groll zu unterdrücken, der sich inzwischen jeden Tag bemerkbar machte und ihr Verhältnis unterschwellig beeinflusste. Kaum hatte sie Angie wiedergefunden, hatte ihre Schwester erneut begonnen, ihr zu entgleiten, und dieses Mal schien es eine persönlichere Angelegenheit zu sein. Wäre alles anders gekommen, wenn sie Angie selbst aufgespürt hätte und Ben Cooper seine Finger nicht im Spiel gehabt hätte? Sie würde es nie erfahren.
»Wenn du es genau wissen willst, ich habe mir einen Job gesucht.«
»Was?«
»Denkst du etwa, ich will dir ewig auf der Tasche liegen, Di? Ich werde mich an der Miete beteiligen.«
Angie kickte ihre Schuhe weg und lieà sich aufs Sofa fallen.
Diane wurde bewusst, dass sie wie eine vorwurfsvolle Mutter in der Tür stand, und setzte sich deshalb auf die Kante eines Sessels.
»Das ist ja toll«, sagte sie. »Was für einen Job denn?«
Da war es wieder, dieses Lächeln. Angie tastete zwischen den Kissen nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an. »Ich
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