Todessymphonie (German Edition)
und jedes Mal lief ihr erneut ein Schauer über den Rücken. Ein Teil von ihr wolltees nicht ernst nehmen, wollte annehmen, dass sich einfach jemand verwählt hatte. Aber ihr Instinkt war geweckt. Sie hatte die Stimme noch nie zuvor gehört, aber sie wusste genau, wer das war und was die Nachricht zu bedeuten hatte.
Er nannte sich selber der Pretender, der Thronfolger. Er war der Lehrling eines Serienmörders aus Nashville gewesen, den man unter dem Namen Schneewittchenmörder kannte. Um Schneewittchen hatte man sich gekümmert, aber der Pretender war durchs Netz geschlüpft. Ab und zu meldete er sich bei ihr. Erst letzten Monat hatte er seine Anwesenheit in Nashville kundgetan, indem er sich um eine nervtötende Bedrohung für ihre Sicherheit gekümmert hatte. Und zwar auf eine erschreckend grausame Weise. Er hatte das, was Baldwin einen „Liebesbrief“ nannte, an die Brust des toten Mannes geheftet hinterlassen.
Wie dreist, bei ihr zu Hause anzurufen. Der Pretender war nicht unvorsichtig, so viel wusste sie. Vor ein paar Monaten hatte man eine Fangschaltung bei ihr installiert, aber es brauchte mehr als einen dreisekündigen Anruf, um ihn zurückverfolgen zu können.
Die Nachricht machte sie auf zwei verschiedenen Ebenen wahnsinnig. Zum einen sorgte die simple Tatsache, dass er sie immer noch beobachtete, dafür, dass sich ihr die Zehennägel aufrollten. Er war nah genug, um von dem Leichenfund heute Abend zu wissen, und das war extrem beunruhigend.
Zum anderen hatten ihre Instinkte bezüglich des heutigen Mordes sie nicht betrogen. Die ritualisierte Pose, der Fundort, der nicht Tatort war – das alles deutete auf einen organisierten Täter hin, der so etwas schon zuvor getan hatte und es vermutlich auch wieder tun würde.
Baldwin musste davon erfahren. Nach ihrer Begegnung mit dem Angreifer, den der Pretender kurzerhand umgebracht hatte, zögerte sie nicht. Sie rannte die Treppe hinauf und warf sich aufs Bett. Baldwin zuckte zusammen.
„Ich bin nicht vollkommen weggetreten von dieser Welt, Lady. Ich dachte, du würdest nie mehr ins Bett kommen. Komm her und lass mich …“
„Er hat angerufen.“
Baldwin erstarrte in der Bewegung, seine Hand lag regungslos auf Taylors Oberschenkel. „Was?“
„Unser spezieller Freund. Er hat auf diesem Anschluss angerufen und mich wissen lassen, dass der Mord von heute Abend nicht sein Werk war.“
Mehr musste sie nicht erklären. Baldwin wusste, dass der Pretender da draußen war und nur auf eine Gelegenheit wartete, zuzuschlagen, sie in einem unbewachten Augenblick zu überrumpeln. Jeder Mord, an dem sie arbeiteten, zwang sie irgendwann, innezuhalten und an ihn zu denken. Er ließ ihre Gedanken nicht los.
Baldwins Zorn war tödlich und mit den Händen greifbar. Sie löschte jegliche Spuren seiner Müdigkeit. Je mehr er seine Stimme kontrollierte, desto verärgerter war er. Jetzt war seine Stimme so angespannt, wie Taylor sie noch nie gehört hatte. „Er hat hier angerufen.“
Sie wusste nicht, was ihr mehr Angst machte, ihre sich stetig weiterentwickelnde Beziehung zu einem Massenmörder oder die starre Wut in Baldwins Stimme.
„Ja. Zumindest nehme ich an, dass er es war. Er hat eine Nachricht hinterlassen. Sie lautet: ‚Nicht ich.‘“
Sie hörte, wie Baldwin tief einatmete, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. „Hurensohn. Ich will die Nachricht selber hören.“
Gemeinsam gingen sie nach unten. „Ich würde mir keine zu großen Sorgen machen“, sagte sie. „Sie klang nicht besonders bedrohlich. Ich denke, wenn er zuschlagen wollte, wird er sich einen Mordsspaß daraus machen, seinen großen Auftritt vorzubereiten.“
„Genau davor habe ich Angst. Und lass mich das bitte selber beurteilen. Du musst aufhören, das herunterzuspielen. Er ist gefährlich.“
Er klang so besitzergreifend, so eindringlich, dass es sich anfühlte, als wäre er mitten auf der Treppe stehen geblieben und hätte seine Arme um ihren Körper geschlungen. Erstaunlich, wie beschützt sie sich alleine durch den Klang seiner Stimme fühlte. Nicht, dass sie Schutz brauchte, natürlich nicht, aber es ist nett zu wissen, dass ihr jemand den Rücken stärkte.
In der Küche spielte Baldwin die Nachricht ein paarmal ab. Dann tätigte er einen Anruf – nach Quantico, wie sie annahm, um zu hören, ob die Fangschaltung etwas ergeben hatte. Sie nahm ihren Wein und ging ins Wohnzimmer, fuhr den Laptop hoch, holte das Kabel für die Kamera und übertrug die Bilder vom Tatort
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