Todessymphonie (German Edition)
am Love Hill.Sie beschäftigte sich mit Arbeit, um ihre Gedanken von der Stimme abzulenken, von dem schleichenden Terror, der in ihre Sinne eindrang. Sollte Baldwin glauben, was er wollte, sie nahm den Pretender sehr ernst. Sie träumte von ihm. Sie ertappte sich dabei, über ihre Schulter zu sehen und sich zu fragen, ob er sie beobachtete. Sie hatte ihre täglichen Abläufe ein wenig verändert, um ihn abzulenken und zu verwirren, aber wenn er ihr weiter Briefe schrieb und bei ihr zu Hause anrief, nützte das auch nichts. Er wusste immer, wo sie war. Er wusste, wann sie schlief, wann sie am verletzlichsten war. Kurz verspürte sie den Drang, vorzuschlagen, dass sie umzögen, aber das würde auch nichts ändern. Der Pretender war gerissener, als gut für ihn war.
„Verdammt“, flüsterte sie. Sie nahm einen Schluck Masciarelli und zwang ihren Magen, ruhig zu bleiben. Sie brauchte eine Ablenkung, und der Computer war jetzt bereit. Baldwin hatte direkt in ihrem Fotoprogramm einen E-Mail-Client installiert. Sie wählte um die zwanzig Bilder aus, die sie gemacht hatte, und schickte sie an ihre Arbeitsadresse, damit sie sie dort gleich morgen früh hätte.
Als die Fotos hochgeladen waren, öffnete sie die Slideshow und scrollte sie ganz langsam durch, um das Gefühl für den Tatort in ihrem Kopf noch einmal nachzuvollziehen. Die Musik. Angelsehnen. Das Buch über Picasso. Eine sehr aufwendig arrangierte Leiche.
Nicht. Ich.
Sie schüttelte die Stimme ab, zwang sie, aus ihrem Kopf zu verschwinden. Die Tatortbilder waren in Farbe, aber sie konnten trotzdem nicht die Intensität einfangen, die sie vor Ort verspürt hatte. Dieser Mörder schickte ihnen eine sehr klare Nachricht. Wenn es ihr nur gelänge, sie zu entschlüsseln, bevor er sich genötigt fühlte, es ihnen noch einmal zu sagen.
Baldwin kam und setzte sich neben sie. Er rieb ihr Bein durch die Jeans, schob dann seine Hand von unten unter den Stoff und strich mit warmen Fingern über ihren Unterschenkel. Ein Schauer überlief sie.
„Jetzt wo du wach bist … du hast die Postkarten erwähnt, die an den Macellaio-Tatorten hinterlassen worden sind? Ich habe eine Picasso-Monografie eingepackt, die auf dem Wohnzimmertisch lag. Ich werde den Hausbesitzer fragen, ob sie ihm gehört – vielleicht ist sie von unserem Verdächtigen dagelassen worden.“
„Das ist ein großartiger Gedanke.“ Er verstummte. „Tut mir leid“, sagte er.
„Was?“
„Dass ich dich nicht vor ihm beschützen kann.“
Sie seufzte. „Das tust du jedes Mal, wenn du mich anschaust, Baldwin. Und vergiss das ja nicht.“ Sie küsste ihn, und ihr Herz pochte nun auf eine weit verführerische Weise. Er öffnete den Knopf an ihrer Jeans und zog ihr das T-Shirt aus. Sie schlang ihre Arme um seinen Körper. Es dauerte nicht lange. Für sie beide war es eine ganze Weile her, und sie waren erpicht darauf, die Verbindung wiederherzustellen. Es gäbe noch ausreichend Zeit für Kerzen und Musik; im Moment wollte sie jedoch nur Baldwin in sich spüren, daran erinnert werden, dass sie lebte. Sein Bart kratzte an der Innenseite ihrer Schenkel und reizte die Haut, doch sie ließ sich von der Leidenschaft davontragen und zerkratzte Baldwin mit ihren Fingernägeln den Rücken. Die Tiefe ihrer Gefühle für ihn überraschte sie immer wieder. Sie hatte sich noch nie so total und komplett gleichzeitig voller Lust und Liebe gefühlt.
Heftig atmend sanken sie einander auf der Couch in die Arme. Baldwin schlief beinahe sofort ein, und sie versteckte ein Lächeln in seinen dunklen Haaren. Gott, es war so gut, ihn wieder zu Hause zu haben.
Sie streckte eine Hand aus und schaffte es, ihr Weinglas zu greifen. Während sie trank, diskutierte sie mit sich, ob sie hinauf in ihr Billardzimmer schleichen sollte, um eine Runde zu spielen und die Ereignisse des Abends noch einmal durchzugehen. Sie würde sowieso in ein paar Stunden aufstehen müssen. Beinahe widerwillig stellte sie das Glas beiseite und schloss die Augen. Sie ließ ihren Atem ruhiger und tiefer werden und nahm Baldwins Rhythmus auf. Morgen früh gäbe es noch ausreichend Zeit, sich mit den Monstern zu beschäftigen.
DONNERSTAG
6. KAPITEL
Nach rund drei Stunden Schlaf stand Taylor am nächsten Morgen um sieben Uhr auf, damit sie noch eine Runde laufen konnte, bevor sie ins Büro ging. Baldwin hatte ein Laufband gekauft, auf dem er seinen Stress abbaute, und sie hatte festgestellt, dass das Laufen ihr auch guttat. Vor dem heutigen Tag graute ihr.
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