Todessymphonie (German Edition)
durchs Unterholz streiften, blieben die lauten Rufe der Krähen immer weiter zurück und machten einer durchdringenden Stille Platz. Der See war ruhig, die Geräuschlosigkeit beinahe ohrenbetäubend, erfüllt von den Rufen lebender Kreaturen.
Taylor erinnerte sich an diesen Teil des Weges. Sie war Teil der Suchmannschaft für Perry Marchs Frau Janet gewesen. Die Tage der fieberhaften Suche nach ihr hatten sich zu Wochen und Monaten hingezogen und schließlich waren Jahre vergangen. Sie war damalsnoch auf der Polizei-Akademie und Leiterin eines der Suchtrupps gewesen und hatte tagelang zu Fuß die Wälder durchstreift und unter jeden Baum und Strauch geschaut.
Janes Leiche ist nie gefunden worden, aber Perry March war nach mehreren Jahren in Mexiko, in denen er seine Unschuld beteuert hatte, ausgeliefert und vor Gericht gestellt worden. Nachdem sein Vater gestanden hatte, ihm bei der Entsorgung von Janets Leiche geholfen zu haben, war er verurteilt worden. Taylor hoffte, er würde im Gefängnis verrotten – er war der Grund für eine Menge Herzschmerz unter Nashvilles Bevölkerung. Sie hatte immer gewusst, dass er es getan hatte; seine eingebildete Selbstgefälligkeit, mit der er glaubte, davongekommen zu sein, hatte ihn verraten. Wie so oft bei Männern wie ihm.
Die Sonne wurde von einem kleinen Wolkenband verdeckt. Ein Sturm braute sich zusammen. Taylor fing an, sich Sorgen um die Beweissicherung zu machen. Sie bogen um eine Kurve, und vor ihnen breitete sich der See aus. Seine Oberfläche kräuselte sich sanft in der leichten Brise. Es war ein überwältigender Anblick – Schönheit und Grauen miteinander vereint. Zwanzig Meter zu ihrer Rechten sah Taylor, wie Tim Davis sich mit der Kamera in der Hand auf der anderen Seite des Pfades einen Weg suchte.
„Die Leiche ist nicht im See?“
Die Stimme der Wildhüterin zitterte. „Nein. Sie ist im Otter Creek.“
Taylor schaute in den fließenden Bach. Glasklar konnte sie das Objekt von Tims Aufmerksamkeit erkennen – ein Körper, der im flachen Wasser schwebte. Ein paar Menschen standen herum, schauten zu, machten sich Notizen.
Ranger Kilkowski gab ein kleines, wimmerndes Geräusch von sich und übergab Taylors Crew an einen gut aussehenden Mann mit silbergrauen Haaren, gebräunter Haut und blauen Augen, die von einem Netz feiner Fältchen umgeben waren.
Er kam das Ufer heraufgeklettert und streckte seine Hand aus. Im Gegensatz zu der schüchternen Kilkowski war er das reinste Energiebündel.
„Hey, ich bin Dick Harkins. Park Manager. Schön, Sie kennenzulernen, auch wenn ich mir andere Umstände gewünscht hätte.“ Er deutete auf das, was sich am Wasser abspielte.
Taylor stellte ihre Gruppe vor. „Haben Sie die Leiche gefunden?“, wollte sie dann von Dick Harkins wissen.
„Ja. Ich habe einen Rundgang gemacht, ein paar Sachen nachgeschaut. Irgendetwas hat meine Aufmerksamkeit erregt. Ein Farbfleck. Ich dachte, es wäre vielleicht ein Stück Stoff, irgendetwas, das jemand weggeworfen hatte. Doch stattdessen …“
Eine Trauerweide ließ ihre Zweige ins Wasser hängen. Ein heruntergefallener Ast ragte aus dem steinigen Ufer. Gemeinsam bildeten sie einen schattigen Tunnel. Trotzdem konnte Taylor alles gut erkennen. Sie atmete tief durch und machte sich daran, das steile Ufer hinunterzuklettern.
Eine kleine Frau tanzte leise auf den Wellen, bewegte sich im Rhythmus des kleinen Wasserlaufs. Sie lag auf dem Rücken, Mund und Augen geöffnet, Arme seitlich ausgestreckt. In ihrer rechten Hand hielt sie einen Blumenstrauß, einige Blüten rot, einige blau, einige gelb. Ihr Hals war umringt von Blumen, Veilchen, wie es aussah. Sie trug ein langes, fließendes Gewand, das an ihren Beinen klebte und diese in weißer Baumwolle nachzeichnete. Der Rock hatte sich an dem heruntergefallenen Ast verhakt. Das schien der Grund zu sein, warum sie hier gelandet war. Taylor spürte instinktiv, dass dieses Mädchen eigentlich hätte treiben sollen.
„Tim, sag mir, dass du alle Einzelheiten dokumentiert hast“, sagte sie.
Tim gesellte sich mit vorsichtigen Schritten zu ihr. „Das habe ich.“
„Ich muss Baldwin herbringen. Und zwar sofort.“
„Was ist hier los? Es sieht so gestellt aus.“
„Es ist gestellt. Komplett. Dieses Mal weiß ich, was er versucht, zu sagen. Das muss derselbe Mörder sein.“
19. KAPITEL
Baldwin war in der Lobby des Loews Vanderbilt. Er telefonierte gerade mit Quantico, während er darauf wartete, dass Memphis sein Zimmer bezogen
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