Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
LaBréa stieg in den Renault und bat Franck, an der nächsten Croissanterie zu halten, damit er während der Fahrt einen Kaffee und etwas zu essen zu sich nehmen konnte.
Während LaBréa wenig später den heißen Kaffee schlürfte und das noch ofenwarme Hörnchen verschlang, konzentrierte sich Franck aufs Autofahren. Die Straßen waren glatt, erst wenige Streufahrzeuge fuhren durch die Stadt. Wenigstens schneite es nicht mehr.
Die Nummer sechs in der Rue du Château d’Eau, im Herzen des Zehnten Arrondissements gelegen, entpuppte sich als leer stehendes Fabrikgebäude. Die meisten Fensterscheiben der Straßenfront waren eingeschlagen. Graffiti-Schmierereien zierten die Backsteinwände. Durch eine breite Einfahrt, deren Torflügel nicht mehr existierten, gelangte man auf ein weitläufiges Gelände. Darauf befanden sich weitere Gebäude, ebenfalls verlassen und von Vandalismus gezeichnet. Überall war Gerümpel zu sehen, Stapel von alten Brettern, Plastikabfälle, zwei ausgeschlachtete Fahrräder, alte Müllcontainer und verbeulte Öltonnen. Gleich hinter der Toreinfahrt parkten einige Polizeifahrzeuge und zivile Dienstwagen. Claudine und Jean-Marc, die beide nicht weit von der Rue du Château d’Eau entfernt wohnten, waren bereits da und suchten das Gelände ab. Drei uniformierte Beamte, vermutlich Polizisten des Kommissariats, taten es ihnen gleich. LaBréa entdeckte auch den Wagen der Gerichtsmedizinerin sowie den Leichenwagen des Pathologischen Instituts. Die Kollegen der Spurensicherung waren noch nicht eingetroffen, ebenso wenig der Polizeifotograf.
Franck stellte den Wagen neben den anderen ab. Ein eisiger Wind fegte LaBréa entgegen, als er den gut geheizten Dienst-Renault verließ. Er schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch und streifte die dicken Goretexhandschuhe über, die er vorsichtshalber eingesteckt hatte. Es war noch dunkel, erst in etwa einer halben Stunde würde die Sonne aufgehen.
Der Fundort der Leiche befand sich wenige Meter von einem der alten Backsteingebäude entfernt. Starke Scheinwerfer, durch einen Generator betrieben, waren aufgestellt worden. Brigitte Foucart stand neben der Leiche, hatte sich jedoch noch nicht an die Arbeit gemacht. Man wartete auf den Fotografen, damit er als Erstes seine Bilder schoss.
»Wer hat ihn gefunden?«, fragte LaBréa einen der uniformierten Beamten.
»Wir bekamen einen anonymen Anruf. Männliche Stimme mit leicht maghrebinischem Akzent. Der Mann sagte, er hätte seinen Hund ausgeführt. Der war dann plötzlich hier auf dem Gelände verschwunden und schlug wie verrückt neben der Leiche an. Der Anruf kam aus einer Telefonzelle an der nächsten Ecke.«
Die Leiche bot einen schrecklichen Anblick. Bis auf ein kurzärmeliges T-Shirt war sie nackt. Hände und Füße waren mit einer Nylonschnur gefesselt, die jeweils etwa in zehn Zentimeter Abstand zu Handund Fußgelenken durchtrennt worden war. Die Reste der Fesseln mussten sich dort befinden, wo man den
Mann angebunden hatte. Der Unterkörper war entblößt und blutverschmiert. Hoden und Penis des Toten waren abgeschnitten worden und lagen auf dem Bauch des Mannes. Daneben eine Musikkassette. LaBréa ahnte, was sie enthielt.
Jetzt betrachtete LaBréa das Gesicht des Toten. Der Mund war mit einer dicken Schicht Leukoplast verklebt, die hellgrünen Augen waren weit aufgerissen. In den lockigen dunklen Haaren glitzerten Spuren von Schnee.
LaBréa stutzte. »Ist das nicht einer der Männer, die auf dem Camerone-Foto abgebildet sind?«
Franck, der ebenso wie die anderen Kollegen hinzugekommen war, beugte sich über den Leichnam und nickte. »Ja, und zwar der unbekannte Zivilist mit der kakifarbenen Fliegerkombination.«
Jean-Marc und Claudine pflichteten ihm bei.
»Dasselbe Szenario wie bei Masson«, bemerkte Brigitte Foucart und schüttelte angewidert den Kopf. »Nur dass der Fundort der Leiche nicht identisch mit dem Tatort ist. Siehst du?« Sie deutete auf eine Schleifspur, deutlich sichtbar im Schnee. Sie führte direkt in das Gebäude. LaBréa trat näher heran.
»Blutspuren, Chef«, bemerkte Jean-Marc. »Der Mörder hat den Mann irgendwo im Gebäude erledigt und dann auf den Hof geschafft.«
LaBréa sah sich suchend um. »Haben Sie schon irgendwelche Reifenspuren entdeckt? Von Autos, vielleicht einem Motorrad?«
»Nein«, sagte Claudine. »Als wir herkamen, sahen wir sofort die Fußspuren eines Mannes. Sie stammen von einer dicken Profilsohle und führen von der Straße bis zur Leiche und
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