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Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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gerieten?
     
    SOLDAT:
    Ich war in zehn, zwölf verschiedenen Kampfgebieten.
     
    ERMITTLER:
    Gebiete mit überwiegend muslimischer Bevölkerung?
     
    SOLDAT:
    Ja. Die Leute sollten weg von dort.
     
    ERMITTLER:
    Haben Sie da jedes Mal vergewaltigt?
     
    SOLDAT (nach kurzem Zögern):
    Ja, ich glaube schon.
     
    ERMITTLER:
    Eine oder mehrere Frauen?

    SOLDAT:
    Meistens mehrere.
     
    ERMITTLER:
    Wie viele waren es insgesamt?
     
    SOLDAT:
    Das weiß ich nicht mehr.
     
    ERMITTLER:
    Haben Sie auch Frauen getötet? Nach den Vergewaltigungen?
     
    SOLDAT (trinkt einen Schluck Wasser aus einem Glas, das vor ihm auf dem Tisch steht):
    Ich erinnere mich nicht.
     
    ERMITTLER:
    Waren Sie dabei, als Frauen getötet wurden?
     
    SOLDAT:
    Einige Male. Aber ich habe selbst nicht mitgemacht.
    Christine Payan stellte den Rekorder aus.
    »So haben sie sich alle herausgeredet. Befehl von oben, ich wollte eigentlich gar nicht, im Grunde bin ich unschuldig … Die meisten dieser Kerle laufen heute noch frei herum. Sie wurden nie angeklagt. Sie kehrten zurück in ihre Dörfer, die ja nach dem Krieg
zum großen Teil ethnisch ›gesäubert‹ waren. Eine muslimische Bevölkerung gab es dort kaum noch. Und als die Rücksiedelungsaktionen begannen, was glauben Sie, geschah da? Von den Vertriebenen wollte kaum jemand zurück. Insbesondere die Frauen hatten Angst. Ihre Vergewaltiger lebten weiter dort, und sie fürchteten erneute Übergriffe. Natürlich gab es auch Übergriffe von der anderen Seite. Das kroatische Militär, das die von den Serben besetzten Gebiete zurückeroberte, hat dann serbische Frauen vergewaltigt. All diese Frauen wurden im Stich gelassen. Von ihrer Regierung, der Polizei, der Justiz, der gesamten westlichen Welt. Die Bemühungen des Haager Tribunals, die Täter vor Gericht zu stellen, sind zwar hoch einzuschätzen. Doch es wurden viel zu wenige Täter gefasst. Die Verbrechen blieben in den allermeisten Fällen ungesühnt.«
    Christine Payan nahm jetzt ebenfalls auf einem der Sessel Platz. Sie wirkte ein wenig erschöpft. LaBréa sah, dass dieses Thema sie auch nach so vielen Jahren nicht unberührt ließ.
    Er nickte und griff die letzten Worte der Psychologin auf.
    »Und weil die Täter ungestraft blieben, wurden viele Jahre später, hier in Paris, zwei von ihnen brutal ermordet. Ein Akt der Selbstjustiz, Madame Payan. Begangen von jemandem, der damals in Bosnien mittelbar oder unmittelbar betroffen war.«
    Die Psychologin blickte LaBréa regungslos an.

    »Es ist Ihre Aufgabe, das herauszufinden, Monsieur«, sagte sie. »Ich kann Ihnen dazu nur Folgendes sagen: Wenn es so sein sollte, könnte ich es absolut verstehen.«
    »Tatsächlich? Das erstaunt mich. Denn der Mörder oder die Mörderin hätte doch Gelegenheit gehabt, die beiden Schuldigen der Gerichtsbarkeit zuzuführen. Wir sind hier in Frankreich, nicht irgendwo auf dem Balkan im Untergrund. Wer sich die Mühe gemacht hat, die Spur der beiden bis hierher zu verfolgen, hätte die Polizei einschalten können.«
    Christine Payan lachte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Glauben Sie, dass irgendjemand, der die Hölle eines Vergewaltigungslagers erlebt hat, noch auf Polizei und Justiz vertraut? Die haben doch damals in Bosnien als Erste versagt! Die örtliche serbische Polizei hat die Frauen und Männer nicht beschützt, die gequält und vertrieben wurden, sondern sich aktiv an allem beteiligt.«
    Claudine räusperte sich. Sie war blass geworden. Die beiden Videovorführungen hatten auch bei ihr Spuren hinterlassen. Sie ging nicht auf Christine Payans Ausführungen ein, sondern sagte leise: »Eine Frage, Madame Payan: Wo waren Sie eigentlich in der Nacht von Montag auf Dienstag und in der von Dienstag auf Mittwoch dieser Woche?«
    Die Frage kam zur rechten Zeit. LaBréa hätte sie selbst als Nächstes gestellt, schon allein, um das Gespräch wieder auf das Wesentliche zu lenken.

    Die Psychologin antwortete sofort.
    »Soll das heißen, Sie verdächtigen mich, diese beiden Männer …«, sie beendete ihren Satz nicht, sprang auf und ging zum Fenster. Sie drehte den beiden Beamten den Rücken zu. »Aus welchem Grund sollte ich die beiden umbringen? Ich bin doch keine der Betroffenen, die dieses Martyrium damals ertragen mussten.«
    »Aber Sie kennen jemanden, der betroffen ist«, sagte LaBréa ruhig und bestimmt. »Jemand, der sich hier in Paris aufhält. Sie kennen den Mörder beziehungsweise die Mörderin, Madame Payan. Und jetzt beantworten Sie bitte die Frage

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