Todeswald
einem verlassenen Waldweg gesehen hab. Wir sind gerade unterwegs, um es zu suchen. Aber …“
Ich zögerte.
„Aber?“
„Wir haben eine Garage gefunden, wo Ihr Auto sehr gut sein könnte, aber da waren ein paar unheimliche Typen, die haben uns verscheucht, bevor wir nachschauen konnten.“
„Was für Typen?“
„Breitschultrig, in Lederjacken mit so großen Abzeichen drauf.“
„Klingt nicht gut. Solchen Gestalten geht man am besten aus dem Weg. Und wo war das genau?“
Ich erklärte ihm, wo Stormalm lag.
„Ich werde sofort die Polizei benachrichtigen“, sagte Roy Gräs. „Die sollen das überprüfen.“
Er schwieg kurz.
„Warum hast du zuerst behauptet, du würdest von einer Werkstatt aus anrufen?“
Seine Stimme hatte einen misstrauischen Klang angenommen. Ich konnte die Frage nicht beantworten.
„Das war ein Missverständnis“, beeilte ich mich zu erklären. „Hoffentlich wird Ihr Auto bald gefunden.“
Ich beendete das Gespräch, bevor er mich noch mehr unter Druck setzen konnte.
Wir hätten natürlich direkt nach Hause gehen sollen. Wir waren völlig durcheinander und voller Angst, dass diese beiden Charmebolzen plötzlich aus den Schatten auftauchen und uns ausfragen würden, warum wir vor ihrer Garage herumgeschnüffelt hatten.
Aber gleichzeitig wollte ich unbedingt mein Fahrrad wiederhaben. Wir waren bereits an dem Pfad angelangt, der zu Hedvigs Haus führte. Wir würden nur ein paar Minuten brauchen, um festzustellen, ob Linus richtig gesehen hatte.
Manchmal glaube ich an das Schicksal. In dem Moment zum Beispiel, als wir auf Hedvigs Pfad einbogen. Wir befanden uns schon auf halbem Weg, als die Lichtkegel eines Autos an der Stelle über den Fahrweg strichen, wo wir soeben unterwegs gewesen waren. Das war an und für sich nicht besonders ungewöhnlich. Das Seltsame war, dass das Auto im Schneckentempo fuhr, während eine Taschenlampe Büsche und Grabenränder längs des Weges erhellte. Als suchten sie etwas. Oder jemanden. Uns zum Beispiel.
„Shit!“, zischte ich.
Ich ließ mich hinter Hedvigs Beerenbüsche fallen und zog Linus hinter mir her.
„Woher haben die gewusst, dass wir in diese Richtung gegangen sind?“, flüsterte Linus.
„Na, ist doch logisch. In der anderen Richtung liegt ja nichts als Wald.“
An der Steigung, die zu unserem Haus hinaufführte, verschwand das Auto außer Sicht, aber wir verharrten trotzdem noch ein paar Minuten hinter den Büschen. Und das war ein wahres Glück! Plötzlich kam das Auto nämlich zurückgefahren und diesmal leuchtete die Taschenlampe auch auf den Pfad, der zu Hedvigs Haus führte. Das Licht flackerte hin und her, erreichte aber nicht unser Versteck.
„Hoffentlich kommen sie nicht auf die Idee, hier hereinzufahren“, flüsterte ich.
Meine Stimme klang dünn und ängstlich.
„War wohl keine so gute Idee, das mit Stormalm“, bemerkte Linus düster.
Ich nickte. Bestimmt hatte er recht.
Nachdem das Motorengeräusch endlich erstorben war, warteten wir noch ein paar Minuten, bevor wir uns trauten, unseren Weg zu Hedvigs Haus fortzusetzen. Es lag fast ganz im Dunkeln. Nur im Obergeschoss brannte ein schwaches Licht.
„Sie ist schon im Bett“, flüsterte Linus.
„Oder sie sitzt vor der Glotze.“
„Ich glaube kaum, dass sie eine hat.“
Wir schlichen so leise wie möglich durch das raschelnde Laubmeer um das Haus. An der Rückseite fanden wir das Fahrrad sofort. Es lehnte an der Hauswand. Ich richtete die Taschenlampe darauf. Es war tatsächlich mein blau-weiß gestreiftes Fahrrad!
Ringsum häufte sich alles mögliche Gerümpel: Bretter, Fässer, Eimer. Eine knallrote Reisetasche blockierte den Weg.
Ich hob die Tasche hoch, schaffte es aber nur mit Mühe.
„Da hat sie garantiert ihre Steinesammlung drin“, flüsterte ich.
Ich hievte die Tasche zur Seite, damit ich an das Fahrrad herankam, und schob es dann über das gefrorene, trockene Laub davon.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, wurde die Haustür aufgerissen.
„Hilfe! Diebe!“
Der Hof badete in Licht.
„Rauf auf den Gepäckträger!“, zischte ich Linus zu.
Ich selbst sprang auf den Sattel und begann in die Pedale zu treten.
Hinter uns hörte ich Hedvigs Stimme. „Anhalten!“, kreischte sie, doch stattdessen strampelte ich aus Leibeskräften. Es ging mühsam, aber erstens bin ich durchtrainiert und zweitens verlieh die Angst mir zusätzliche Kraft.
Keuchend vor Anstrengung trennten wir uns mit einem kurzen „tschüs“ vor meinem Gartentor. Dann
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