Todeswatt
gewesen, sich gegenseitig zu bekochen, aber nach seinem ersten missglückten Versuch, ein genießbares Mahl zu zaubern, hatte Marlene seinen Part übernommen. Haie revanchierte sich meist am Sonntag und so verbrachten die drei fast jedes Wochenende gemeinsam, zumindest die Mittagessen.
»Hast du denn Ursel gar nicht mitgebracht?« Marlene wandte sich vom Herd ab und sah ihn fragend an. Obwohl Haies Freundin ihn noch nie zu ihrem trauten Essen begleitet hatte, schien ihr die Frage angebracht. Die beiden waren seit einiger Zeit zusammen und sie wollte Ursel nicht ausgrenzen.
»Nee, die hat keine Zeit.« Haie blickte betreten zu Boden. Ursel fühlte sich in der Gesellschaft seiner Freunde nicht wirklich wohl. Sie sei nur das fünfte Rad am Wagen, hatte sie geantwortet, als er sie gebeten hatte, ihn zu begleiten. Haie hatte das natürlich bestritten und schließlich hatte ein Wort das andere ergeben, und sie waren im Streit auseinandergegangen. Ein bisschen, musste er sich eingestehen, konnte er sie sogar verstehen. Die drei verbanden so einschneidende gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen, da war es für Ursel schwer, ihren Platz unter den Freunden zu finden. Und auch wenn Tom, Haie und Marlene sich nicht ewig kannten – inzwischen waren es knapp vier Jahre –, war ihre Freundschaft von solch einer Intensität, wie er sie zuvor noch nie erlebt hatte. Das war Ursel sicherlich aufgefallen. Vielleicht war sie eifersüchtig, weil sie selbst keine solch emotionale Beziehung hatte? Doch er würde Tom und Marlene nicht aufgeben, auch nicht Ursel zuliebe. Aber mit dieser Problematik wollte er Marlene nicht belasten und erzählte lieber, seine Freundin sei zum Geburtstag ihrer Schwester gefahren.
»Und da bist du nicht mitgefahren?« Marlene hatte ihn zwar lieber bei sich, aber in diesem Fall hätte sie Verständnis gehabt, wenn Haie ihr traditionelles Mittagessen abgesagt hätte.
»Ist wohl mehr so eine Frauenveranstaltung, weißt ja, wie das ist, da sind wir Männer nicht erwünscht. Apropos Männer, wo steckt denn eigentlich Tom?«, versuchte er das Thema zu wechseln. Er wusste genau, wenn er noch mehr daherredete, würde Marlene seine Notlüge schnell durchschauen. Dafür kannten sie sich einfach zu gut.
»Ach, der wollte noch mal zu Matthiesen. Is’ schon ’ne ganze Weile weg. Aber er weiß ja, wann es Essen gibt.«
»Hm«, bestätigte Haie und wartete, ob Marlene sich noch weiter zu Toms Vorhaben äußerte. Er wollte sie ungern auf den toten Banker ansprechen, da er wusste, wie sie zu ihren privaten Ermittlungen stand. Trotzdem interessierte ihn, wie sie die Sache sah. Marlene war zwar diesbezüglich etwas empfindlich – was er angesichts dessen, was sie durchgemacht hatte, gut nachvollziehen konnte –, aber sie verfügte neben ihrer weiblichen Intuition über ein weitsichtiges und einfühlsames Wesen, das es ihr ermöglichte, verschiedene Positionen einzunehmen und Angelegenheiten aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Doch Marlene äußerte sich nicht weiter und bat ihn stattdessen, den Tisch zu decken. Haie holte das Geschirr aus dem hölzernen Küchenschrank.
»Wir konnten uns noch gar nicht ausführlich über dein Gespräch mit dieser Geisterfrau unterhalten. Wie war es denn nun eigentlich?« Es war von ihr kein weiterer Kommentar in Bezug auf Tom und seinem Besuch bei dem Spediteur zu erwarten und da sie beim gestrigen Mittagessen nur kurz über ihr Treffen am Institut gesprochen hatten, erkundigte er sich lieber, wie dieser Termin verlaufen war.
»Medium«, verbesserte sie ihn. »Sie versteht sich als Medium zwischen unserer Welt und dem Jenseits.«
Mit etwas Abstand sah Marlene die Begegnung mit der Frau, die angeblich zu Geistern Verbindung aufnehmen konnte, entspannter, auch wenn ihr während des Gespräches im Nordfriisk Instituut der eine oder andere Schauer über den Rücken gelaufen war. Die alte Dame hatte eine starke Ausstrahlung und die Art, mit der sie über ihre Begegnungen mit den Toten erzählte, wirkte glaubwürdig. Marlenes skeptischen Fragen war die Frau mit einem Lächeln begegnet und hatte stets plausible Antworten parat gehabt, die einen glauben ließen, es sei tatsächlich möglich, mit Verstorbenen in Kontakt zu treten.
»Und, wer ist ihr schon alles begegnet?«
Im Gegensatz zu Marlene war Haie in gewisser Weise überzeugt, dass es Geister gab. Natürlich nicht in Form von betttuchtragenden Gespenstern. Aber er war mit den Überlieferungen von überirdischen Wesen
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