Todeswatt
SPAR-Markt sich bereits über Inken Matthiesens Zusammenbruch ausgelassen, aber von den Andeutungen, welche die Frau des Spediteurs in ihrem verwirrten Zustand gegenüber Marlene geäußert hatte, war ihm ebenso wenig bekannt wie von dem Besuch der Freunde auf der Polizeidienststelle. Die beiden brachten ihn schleunigst auf den neuesten Stand.
»Dann passt das ja auch mit der Freundin«, bemerkte Haie, nachdem Tom und Marlene ihren Bericht abgeschlossen hatten. »Vielleicht hat die ihm sogar bei dem Mord geholfen und Arne Lorenzen für ihn auf die Insel gelockt. Und ein Boot brauchte er auch. Was hat Thamsen denn gesagt, was er jetzt tun will?«
Erst einmal hatte er die Ehefrau befragen wollen. Aber das sei schon Stunden her. Ob sie ihn anrufen sollten? Wahrscheinlich wusste er gar nichts von Sönke Matthiesens Geliebten auf Pellworm.
Tief über das Telefon gebeugt, die Köpfe eng zusammengesteckt, lauschten sie dem Freiton. Tom hatte den Lautsprecher angestellt, damit sie alle das Gespräch verfolgen konnten. Doch auch nach dem siebten Klingeln wurde am anderen Ende der Leitung nicht abgehoben. Thamsen war entweder nicht im Büro oder beschäftigt.
»Ist ja auch schon spät«, bemerkte Haie mit einem Blick auf die Uhr. »Bestimmt hat er längst Feierabend gemacht.«
Es war zwar bereits nach 18 Uhr, aber Tom und Marlene wussten, wenn Thamsen eine heiße Spur verfolgte, ließ er pünktlich zum Dienstschluss nicht einfach den Stift fallen.
»Oder er ist nach Pellworm gefahren«, mutmaßte Marlene. Woher er denn von der Freundin wissen sollte, stellte Haie ihre Annahme infrage.
»Na«, grinste Tom, »wenn das halbe Dorf schon Bescheid weiß?«
Da sie momentan nichts weiter tun konnten, schlug Marlene vor, essen zu gehen.
»Willst du nicht Ursel fragen, ob sie mitkommen möchte?« Für Marlene war es eigentlich selbstverständlich, dass Haie die Freundin mitnehmen wollte. Schließlich waren sie ein Paar.
Doch der Freund druckste merkwürdig herum. Bestimmt habe sie keine Zeit. Er wisse gar nicht, ob sie überhaupt zu Hause sei.
»Aber anrufen kannst du sie ja wenigstens.« Tom fand Haies Verhalten äußerst sonderbar. Er fragte sich, ob es zwischen den beiden vielleicht kriselte, denn seit einigen Tagen hielt Haie sich sehr bedeckt, wenn es um Ursel ging.
»Hm.« Es war ihm sichtlich unangenehm, darüber zu sprechen.
Marlene spürte seine Hemmungen und sagte: »Ich zieh’ mich mal eben um.«
Bestimmte Themen machten die Männer lieber unter sich aus. Sie waren zwar sehr gut befreundet, trotzdem hatte sie Verständnis dafür, wenn Haie einige Dinge lieber mit Tom unter vier Augen besprach. Sie diskutierte ja mit ihm auch nicht alles, was Tom und sie betraf.
Nachdem sie das Wohnzimmer verlassen hatte, fühlte Tom dem Freund auf den Zahn. »Was ist denn los mit euch beiden?«, wollte er ohne Umschweife wissen und blickte Haie auffordernd an.
»Ich weiß nicht.« Haie, der sich ohne Marlenes Anwesenheit deutlich wohler fühlte, spürte, es würde ihm guttun, mit dem Freund über die Probleme in seiner Beziehung zu sprechen. Er holte tief Luft und vertraute Tom an, er fühle sich von Ursel unter Druck gesetzt. Sie wolle eigentlich am liebsten nur mit ihm allein etwas unternehmen. In der Konstellation Tom, Marlene, Haie und Ursel sei ihr angeblich nicht wohl zumute. »Das hat nichts mit euch als Personen zu tun, sie meint nur, sie sei halt von unserer Freundschaft ausgeschlossen.«
Tom nickte. Verstehen konnte er Haies Freundin. Es war nie leicht, in eine Gruppe, die sich seit Längerem kannte, hineinzuwachsen. Für einen Außenstehenden war es natürlich schwer, einen Platz in einer vertrauten Gemeinschaft wie der ihren zu finden, aber nicht unmöglich. »Sie hat sich bisher aber auch nicht sonderlich angestrengt, mit uns auszukommen, oder?« Außerdem hatten sie sich erst wenige Male getroffen. Und von ein oder zwei geselligen Mittagessen konnte man nicht gerade erwarten, in einer Gruppe wie der ihren voll und ganz integriert zu sein, so als kenne man sich seit zehn Jahren oder mehr.
»Und nun?«
Haie stöhnte leise auf. Er wusste es selbst nicht. In den letzten Tagen hatte zwischen ihm und Ursel absolute Funkstille geherrscht. Er konnte sie jetzt unmöglich anrufen und fragen, ob sie ihn zu einem Essen mit den Freunden begleite. Und irgendwie war er sich selbst unsicher geworden. Er mochte sie zwar sehr, sehr gern, aber wollte er eine Partnerin, die seine Freunde nicht akzeptierte? Und was würde ihn in
Weitere Kostenlose Bücher