Todeswatt
verließ. Schnell stieg sie die schmale Treppe hinab und horchte kurz am Absatz, ob er ihr folgte.
Er hatte aber am Geländer Halt gemacht, beugte sich weit hinüber und rief: »Arne war ein Arschloch und keine Träne sollte man ihm nachweinen.«
»Na, wenn Sie den Tee nicht bald trinken, ist er kalt.« Marlene fuhr erschrocken herum und starrte völlig entgeistert in das Gesicht der freundlichen Kellnerin.
»Der Tee«, die Frau wies auf die Kanne.
Marlene nickte. »Oh, entschuldigen Sie, ich war ganz in Gedanken.«
Das habe man gemerkt, schmunzelte die Bedienung und goss ihr eine Tasse des goldgelben Heißgetränkes ein. Marlene trank einen Schluck und machte sich ein paar Notizen, aber ein wirklicher Plan waren die drei bis vier Stichworte auf dem kleinen Notizblock nicht.
Wird schon schiefgehen, dachte sie, während sie das Geld auf den Tisch zählte, ihre Sachen in die Hand nahm und eilig das Café verließ.
Die Redaktion der Husumer Nachrichten lag quasi direkt um die Ecke. Von diesem Standort des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages aus wurde neben den Husumer Nachrichten und dem Insel-Boten auch die Ausgabe des Nordfriesland Tageblatts betreut. In letzterem hatte Marlene den beleidigenden Nachruf gelesen. Tom und sie hatten die Zeitung abonniert. Ob er zudem in anderen Ausgaben erschienen war, konnte sie nicht sagen.
Sie betrat das Gebäude und sah sich um. Wo befanden sich die Büros der Redakteure? Hatte Marcel Petersen überhaupt einen eigenen Arbeitsplatz? Und selbst wenn, was konnte sie dort finden?
»Kann ich Ihnen vielleicht helfen?« Ein älterer Herr trat aus einem der angrenzenden Räume und musterte sie interessiert durch eine rote Hornbrille, die in seinem schmalen Gesicht viel zu klobig wirkte. Er trug einen beigefarbenen Cordanzug, der an den Knien ausgebeult war, dazu eine grelle Krawatte. Seine Füße steckten in ausgetretenen dunkelbraunen Mokassins.
»Ich bin eine Freundin von Marcel und soll Unterlagen aus seinem Schreibtisch holen.« Ihr war bewusst, wie riskant ihre Vorgehensweise war. Zwar wurde der Reporter erst morgen wieder in der Redaktion erwartet, was aber, wenn er ausnahmsweise schon heute an seinem Arbeitsplatz erschienen war?
Der Mann im Cordanzug beäugte sie skeptisch, zeigte aber ansonsten keinerlei Reaktion.
»Sie können ihn gern anrufen und fragen.« Sie war verblüfft, wie leicht ihr diese Lügen über die Lippen gingen. Sie war eigentlich kein Freund von derartigen Aktionen. Aber der Satz zeigte Wirkung.
»Bitte«, er führte sie in ein Großraumbüro und deutete auf einen Tisch in der hinteren rechten Ecke.
Marlene durchquerte den Raum und spürte förmlich, wie die Augen des Mannes sich in ihren Rücken bohrten. Sie straffte ihre Schultern und setzte einen Fuß vor den anderen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Der Arbeitsplatz war penibel aufgeräumt und das krasse Gegenteil zur Wohnung des Zeitungsmitarbeiters. Auf der linken Seite der Schreibtischplatte standen übereinander gestapelte Postkörbchen, rechts der Computerbildschirm. Auf einer etwas erhöhten Ablagefläche befand sich ein gerahmtes Bild. Marlene nahm es in die Hand und betrachtete die Frau im Bikini, die darauf abgelichtet war. Aufreizend posierte sie auf einem Strandlaken am Badedeich und zeigte dem Fotografen einen grellroten Kussmund.
»Das ist seine Exfreundin«, gab eine Dame vom Nebentisch Auskunft.
»Nett«, antwortete Marlene, da ihr auf die Schnelle nichts Besseres einfiel.
»Na ja«, lautete der Kommentar der Frau, die sich als Jutta Mahler vorstellte. »Geht so.«
Vermutlich nahm sie an, Marlene sei die neue Freundin des Kollegen und hielt sich daher eher bedeckt in Bezug auf seine Exgeliebte. Doch Marlene ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Wie lange waren die beiden denn zusammen?«
»Och«, winkte Frau Mahler ab und rückte ihre randlose Brille zurecht. »Ich glaube, so ein, zwei Jahre, vielleicht auch länger. Der Marcel arbeitet ja erst seit gut einem Dreivierteljahr bei uns, und als er hier anfing, waren die schon zusammen.«
»Und wann haben sie sich getrennt?« Marlene beugte sich etwas vor.
»Och, ich glaub, so vor drei Monaten. War das reinste Drama.«
»Inwiefern?
Marcel habe seine Ex ständig angerufen und gefleht, sie solle zu ihm zurückkommen. »Und das hier vor allen Leuten.« Frau Mahler schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ach?« Marlene versuchte, möglichst erstaunt dreinzuschauen. Immerhin glaubte die Frau, sie sei die neue
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