Todeswatt
ihm schon lange nicht mehr passiert. Die Wohnung war nicht exklusiv, aber geschmackvoll eingerichtet. Er folgte ihr in das Wohnzimmer, das in einem sonnigen Gelbton gestrichen war, und setzte sich auf ein farblich abgestimmtes Sofa aus Lederimitat. Statt gegenüber nahm sie neben ihm Platz und schlug die Beine übereinander. Thamsen bemühte sich, nicht auf die samtig wirkende Haut zu starren, die unter einem kurzen Rock zum Vorschein kam.
»Ja, also, Sie waren mit Arne Lorenzen befreundet?«
»Verlobt«, korrigierte sie ihn und erzählte, vor drei Wochen einen Heiratsantrag von dem Banker erhalten zu haben. »Ganz romantisch«, schwärmte sie, »auf Pellworm.«
»Auf Pellworm?«
Er kramte aus seiner Hosentasche eine Kopie des Zettels, den er bei Arne Lorenzen gefunden hatte. Das Original befand sich zur Sicherstellung der Fingerabdrücke bei der Spurensicherung. »Dann ist dies hier bestimmt von Ihnen.« Er reichte Claudia Lemke das Papier, die es eingehend betrachtete.
»Nein«, sie schüttelte den Kopf. »Woher haben Sie das?«
Er versuchte gar nicht, es ihr schonend beizubringen. Merkwürdigerweise fand er die Vorstellung reizvoll, sie könne denken, ihr Freund habe sie betrogen. Warum, konnte er nicht genau sagen. Doch die erwartete Reaktion blieb aus.
»Zeigen Sie noch mal«, forderte sie stattdessen. Irgendwie sei es ihre Schrift, aber sie hätte Arne niemals solche Zeilen geschrieben.
Thamsen runzelte die Stirn. »Wann haben Sie Ihren Verlobten denn das letzte Mal gesehen?«
Das sei am vorletzten Wochenende gewesen. Freitags. Sie seien zusammen in Husum im Brauhaus gewesen und anschließend tanzen gegangen.
Unweigerlich schob sich ihm bei ihrer Schilderung des letzten gemeinsamen Abends mit dem Ermordeten ein Bild der sexy tanzenden Frau vor sein inneres Auge. Er sah förmlich, wie sie ihre Hüften kreisen ließ und der Rock sich höher schob.
»Herr Kommissar?«
Sämtliches Blut, das zuvor eigentlich in die gegensätzliche Richtung geströmt war, schoss ihm nun in den Kopf. Die Situation war ihm mehr als unangenehm und er versuchte sich schnell durch eine Frage aus dieser peinlichen Lage zu befreien. »Und Sie haben diesen Zettel wirklich nicht geschrieben?«
»Nein.«
*
In Jens Bendixens Tasche hatte sich tatsächlich nur Angelzeug befunden. Funke musste sich entschuldigen. Wie hatte er sich nur so irren können? Hatte er vielleicht etwas übersehen?
Er saß in der Dienststelle und starrte aus dem Fenster. Nach wie vor war er von der Möglichkeit überzeugt, Bendixen habe den Bankberater für den Geliebten seiner Frau gehalten und ihn irrtümlich ermordet. Nur hatte er bisher keine Beweise und der herbe Rückschlag seiner Ermittlungen machte ihm zu schaffen.
»Moin, Björn.« Lisbeth Hansen, die Besitzerin einer kleinen Pension auf der Insel, betrat sein Büro und unterbrach seine Grübeleien. »Ich müsste mit dir sprechen. Der Tote aus dem Watt, der war nämlich mein Gast.«
Funke horchte auf. »Und damit kommst du erst jetzt?« Ungläubig blickte er sie an.
Sie sei eine Woche im Urlaub gewesen und habe gerade erst von dem Leichenfund erfahren, verteidigte sie sich. »Außerdem war da ja nichts Ungewöhnliches dran. Oder soll ich ab sofort jeden Gast bei der Polizei melden?«, fragte sie ärgerlich.
»Nu lass mal gut sein, Lisbeth. War nicht so gemeint«, versuchte er sie zu beruhigen.
Die Pensionsbesitzerin zierte sich zwar kurz, konnte aber dann doch nicht mit ihren Informationen hinterm Berg halten. Arne Lorenzen sei schon ein paar Mal zu Gast gewesen. Jeweils in Begleitung unterschiedlicher Frauen.
»Das Zimmer haben die so gut wie nie verlassen.« Sie grinste vielsagend. Letztes Mal sei er allerdings allein da gewesen.
»Und das war nicht ungewöhnlich?«
»Na ja«, Frau Hansen zuckte mit den Schultern. Er habe halt auf jemanden gewartet. Und als die Dame nicht kam, sei er wieder verschwunden.
»Und das nennst du nicht auffällig? Hier von der Insel verschwindet man nicht einfach so.« Er wunderte sich, dass die Gastwirtin sich nicht gefragt hatte, wo der Banker geblieben war.
Die aber begründete ihre Unaufmerksamkeit mit der Tatsache, Arne Lorenzen habe seine Rechnung immer im Voraus bezahlt.
»Und verabschiedet hat er sich auch nicht?«
Sie bot ihren Gästen eine gewisse Privatsphäre und bei dem Anlageberater habe sie stets das Gefühl gehabt, er wolle lieber für sich bleiben.
»Das heißt, Arne Lorenzen hat lediglich seinen Schlüssel abgegeben und keiner
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