Todeswatt
von euch könnte sagen, ob er nur einen Moment an den Strand oder abgereist war?« Funke schüttelte ungläubig den Kopf. »Weißt du denn wenigstens, wen er erwartet hat?«
»Eine Frau?«
Er rief sofort Thamsen an. Seinen Misserfolg hinsichtlich der Ermittlungen gegen den betrogenen Ehemann verschwieg er wohlweislich und teilte ihm stattdessen lieber mit, man habe die Pension ausfindig machen können, in welcher das Opfer Gast gewesen war.
»Na, das passt ja«, entgegnete Thamsen und erzählte dem Kollegen von dem Zettel.
Nur: Auf wen hatte Arne Lorenzen in der Pension gewartet? Und wohin war er gelockt worden?
Claudia Lemke hatte Thamsens Ansicht nach nichts damit zu tun. Er glaubte ihr. Wenngleich er der Frau gegenüber vielleicht nicht ganz unbefangen war. Trotzdem hatte er nicht versäumt, sie vorsichtshalber aufs Revier zu bestellen, um ihre Fingerabdrücke zu nehmen. So würden sie feststellen können, ob sie den Zettel aus Arne Lorenzens Jackett in den Händen gehalten hatte. Hundertprozentig beweisen würde eine fehlende Übereinstimmung ihre Unschuld allerdings nicht. Sie könnte natürlich Handschuhe getragen haben, als sie die Notiz geschrieben und dem Banker zugesteckt hatte. Aber wie auch immer es sich zugetragen haben mochte, irgendjemand hatte den Anlageberater in die Falle gelockt. Die Sache wurde immer komplizierter, je mehr Informationen hinzukamen. Und er hatte immer geglaubt, je mehr Puzzlestücke man hatte, desto klarer würde das Bild werden.
*
Marlene konnte sich an diesem Nachmittag nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Nach dem Gespräch mit ihrem Chef über die Auswahl der zu übersetzenden Märchen von Storm hatte sie eigentlich gleich mit dem Vorwort zur ›Regentrude‹ beginnen wollen, aber immer wieder spukte ihr die gestrige Begegnung mit dem Zeitungsmitarbeiter im Kopf herum.
Auch wenn in dem Fall zwischenzeitlich eine neue heiße Spur gefunden war, das merkwürdige Gefühl ließ ihr keine Ruhe.
»Ich arbeite von zu Hause aus weiter«, teilte sie ihrer Kollegin mit und packte ihre Sachen zusammen.
Doch anstatt nach Risum-Lindholm zu fahren, machte sie sich auf den Weg nach Husum. Es lockte sie, mehr über diesen Reporter zu erfahren. Hatte er wirklich eine Großmutter, die, wie er angab, von dem Bankberater über den Tisch gezogen worden war? Oder gab es eine andere Beziehung zwischen Arne Lorenzen und Marcel Petersen? Was hatten seine Kollegen zu dem provokativen Nachruf zu sagen?
Der Hinweis, den Tom gestern Abend dem Kommissar bezüglich der geldgierigen Freundin des toten Bankers gegeben hatte, war sicherlich nicht ohne. Trotzdem war Marlene der Meinung, es käme nur ein Mann als Täter in Betracht. Oder war eine Frau in der Lage, einen Mann zu erschlagen und anschließend die Leiche in ein Boot zu hieven? Zumindest einen männlichen Komplizen musste es geben. So viel stand für Marlene fest. Und vielleicht hatte ja der freie Mitarbeiter der Husumer Zeitung etwas damit zu tun.
Sie parkte wieder am Wasserturm und durchquerte langsam den Schlosspark. Die Krokusblüte war ob des grauen Wetters noch nicht weiter fortgeschritten, trotzdem sah der Park aus, als hätte man einen violetten Teppich zwischen den geschlängelten Wegen ausgerollt. Marlene kam an einem Hinweisschild vorbei, das die Ursprünge der Blütenpracht erläuterte. Man nahm an, dass entweder die ›Grauen Mönche‹ im 15. Jahrhundert die Krokusse anpflanzten, um aus den getrockneten Narben Safran zu gewinnen, oder Herzogin Maria Elisabeth, die von 1655 bis 1684 im Schloss vor Husum lebte und für ihre bekannte Zuckerbäckerei große Mengen Safran benötigte. Allerdings gab es keinen hundertprozentigen Beleg darüber, wer tatsächlich die Blüten nach Husum gebracht hatte. Fest stand nur, dass der Anpflanzer sehr enttäuscht gewesen sein musste, da sich Safran nicht aus den Narben des Crocus neapolitanus, sondern nur aus dem Crocus sativus gewinnen ließ.
Ihr fiel ein, sie musste Tom unbedingt noch die Geschichte über die Herkunft der Krokusse erzählen. So unwissend, wie er bei ihrem gestrigen Besuch getan hatte, benötigte er dringend Nachhilfe. Schließlich hatte er einen Teil seiner Kindheit in Nordfriesland verbracht und wohnte mittlerweile über drei Jahre wieder hier, da musste er über die heimische Flora einfach Bescheid wissen. Ansonsten würde er nie über den Status eines zugezogenen Touristen hinauskommen.
Die Redaktion lag unweit des Schlossparks direkt in der Innenstadt.
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