Todeszauber
hierherkam. An einem sonnigen Samstagvormittag. Als ich mich, kaum dass ich die Schwelle überschritten hatte, über die dunkelhäutigen Typen wunderte, die sich in den Ecken und an der Bar des eher schummrig beleuchteten Clubs herumdrückten. Vorsichtshalber gesellte ich mich zu den anderen Tanzschülern, vornehmlich Frauen, und behielt meinen Mantel und meine Handtasche im Auge. Was schwierig wurde, als der Unterricht begann. Isabel trat auf die Bühne, erklärte den Grundschritt und übte ihn mit uns ein. Als wir ihn einigermaßen beherrschten, verkündete sie: »Jetzt mit Partner.«
Da sich unter den Schülern nur wenige Männer befanden, fragte ich mich, wo die sogenannten Partner herkommen sollten. Fielen die vom Himmel? Nein, sie wuchsen aus dem Boden. Denn plötzlich stand Miguel vor mir. Einer der dunkelhäutigen Jungs, die mir zuvor so suspekt erschienen waren. Und mir dämmerte, dass ich mir um meine Handtasche keine Sorgen machen musste.
»Kann ich Sie mal kurz sprechen?«
Erstaunt drehe ich mich um, unsicher, ob ich gemeint bin. Ich bin gemeint. Horst steht vor mir. Ein Mann in den späten Fünfzigern, mit schütterem grauem Haar, einer immer irgendwie schief auf seiner Nase sitzenden Metallbrille, einem Vollbart und einem Bauch, der weit über den Gürtel hinausragt. Der Geschäftsführer des Cucaracha . Ein Althippie, der jahrelang auf Kuba gelebt hat und in grauer Vorzeit wohl auch einmal mit einer Kubanerin verheiratet war.
Ich greife mir meinen Mojito, rutsche vom Barhocker und folge ihm in den hinteren Teil des Clubs, zu einer unauffälligen, braun lackierten Tür, an der ein kleines silbernes Schild mit der Aufschrift staff only angebracht ist. Dahinter befindet sich sein Büro. Ein winziger Raum, dessen Wände mit offenen Metallregalen zugestellt sind, in denen sich Aktenordner, Broschüren, CDs und vieles mehr stapeln. Er lässt sich hinter seinem Schreibtisch nieder und deutet auf einen Stuhl. Ich setze mich und nippe an meinem Mojito.
»Sie haben Isabel gefunden?«, sagt er und fummelt ein Päckchen Gitanes aus seiner Brusttasche.
»Woher wissen Sie das?«
»Sagen wir mal, ich weiß vieles.«
»Dann muss ich Ihnen ja nichts mehr erzählen.«
»Ich sagte vieles, nicht alles «, antwortet er gereizt, steckt sich eine Zigarette in den Mundwinkel und greift nach einem silbernen Zippo-Feuerzeug, das vor ihm auf seinem Schreibtisch liegt. »Miguel hat mir erzählt, Sie hätten ihn aus der Geschichte rausgelassen.«
Ich nicke.
»Bleibt das so?«
»Ich denke schon.«
»Gut.« Er zündet sich seine Gitane an und nimmt einen tiefen Zug. »Miguel ist ein lieber Junge. Einer meiner besten Tänzer, ich würde ihn ungern verlieren«, sagt er und spuckt ein paar Tabakkrümmel auf den Boden. Dann sieht er mich direkt an. »Wie ist sie gestorben?«
»Hat Miguel das nicht erzählt?«
»Der ist ein Wirrkopf. Er hat behauptet, er wüsste es nicht.«
»Sie wurde erdrosselt«, sage ich, da ich keinen Grund sehe, es ihm zu verheimlichen. Morgen steht es sowieso in der Zeitung.
Horst fährt sich mit der Hand über den Bart und einen Moment glaube ich, Tränen in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Er registriert meinen erstaunten Blick.
»Isabel ging es in Kuba sehr schlecht. Irgendeine Hilfsorganisation hat es ihr ermöglicht, nach Deutschland zu kommen. Sie war überglücklich, hier zu sein, im Land ihrer Träume. Wo Milch und Honig fließen. Wo ein besseres Leben auf sie wartete. Wie sie dachte.« Er schiebt die Brille hoch und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. »Sie war bildhübsch, ehrgeizig und fleißig, hat hart gearbeitet …«
»War sie nur hier beschäftigt?«, frage ich. »Oder hatte sie noch andere Jobs?«
»Keine Ahnung.« Horst drückt die Zigarette in einem Aschenbecher aus, zieht ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und putzt sich geräuschvoll die Nase.
»Auf jeden Fall hat sie das nicht verdient. Von irgendeinem Irren ermordet zu werden.«
»Hatte Isabel Feinde?«
Er schüttelt den Kopf.
»Gibt es irgendjemanden, der sie nicht leiden konnte?«
Nach einem kurzen Zögern antwortet er: »Juanita und Isabel waren sich nicht grün. Aber das ist kein Grund, sie umzu…«
»Was heißt ›nicht grün‹?«
»Juanita ist hier im Haus die Chefchoreografin. Und das, obwohl sie in Hamburg geboren und groß geworden ist. Normalerweise kriegen solche Jobs bei mir nur Kubaner, die mit Salsa aufwachsen sind, diesen Tanz quasi im Blut haben. Bei Juanita habe ich eine
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