Todeszauber
über die Nackenhärchen. Das Deutebein hatte damals diesen Mann am Fromesee getötet. Bony sah noch deutlich die schreckgeweiteten Augen vor sich, in denen das Wissen um den unentrinnbaren Tod zu lesen war. Fünf Tage hatte es gedauert, dann war der Mann unter Krämpfen gestorben. Die Adlerklauen hatten sich in die Nieren verkrallt, das aus Knochen bestehende Deutebein Leber und Herz durchbohrt.
Dann dieser Mischling an der Südgrenze von Queensland, der die Lieblingsfrau des Häuptlings entführt hatte. Einen spitzen Stab hatte man auf ihn gerichtet, und er hatte zwei Monate auf den Tod gelegen, obwohl sich ein weißer Arzt, ein Farmerehepaar und Bony um ihn gekümmert hatten. Rückfallfieber hatte der Arzt diagnostiziert.
Bony schloß die Augen. Zweifellos war es die Hitze, oder es lag am Rauch des Lagerfeuers. Oder? Bony verspürte plötzlich den unwiderstehlichen Drang, auf sein Pferd zu springen, im Galopp nach Opal Town zu reiten und dort einen Wagen zu mieten, der ihn auf der Stelle zur nächsten Bahnstation brachte. Wenn ich mich nur nicht so müde fühlen würde, dachte Bony.
Versuchte man vielleicht, ihm Müdigkeit zu suggerieren?
Fünf Minuten bekämpfte Bony den Dämon der Furcht, während er reglos auf den Fersen hockte. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, in den Mundwinkeln. Endlich gelang es ihm, seine Furcht niederzukämpfen. Nun konnte er sich auch den Anschein geben zu schlafen, er mochte die Ungewißheit nicht länger ertragen.
Bony erhob sich also, streckte die Arme und gähnte. Er machte sich eine flache Kuhle in den weichen Sand, legte sich auf die linke Seite und blickte hinüber zu seinem Pferd. Der Kopf ruhte auf den linken Unterarm, die rechte Hand steckte unter seinem Körper; die Finger umschlossen fest die Dienstpistole. Er schloß die Augen bis auf einen schmalen Spalt und bot seine ganze Willenskraft auf, um nicht einzuschlafen. So lauschte er auf die schwatzenden Galahs und beobachtete die vor sich hindösende Stute.
Die Minuten schlichen dahin. Die Galahs wurden laut, flogen zu einem anderen Baum, wo sie ärgerlich schnatterten. Das Pferd hob den Kopf, spielte mit den Ohren und blickte zu einer Stelle, die Bony nicht einsehen konnte.
Langsam bewegte die Stute den Kopf, und es bestand nicht der geringste Zweifel, daß sie jemanden beobachtete, der sich Bony vorsichtig näherte. Und dann entdeckte der Inspektor auch schon die große, schwarze Gestalt, die sich aus dem Schatten eines Baumes löste. Abgesehen von den Federn an seinen Füßen war der Mann nackt.
Es war Wandin. Sein Haar war lehmverschmiert und mit Bambusgras bekränzt. Er hatte keine Waffe bei sich, weder Keule noch Speer. Aber er trug vorsichtig wie eine gefüllte Tasse Tee ein gebogenes Rindenstück. Als er in das helle Sonnenlicht trat, konnte Bony deutlich das von Haß verzerrte Gesicht erkennen, in dem die schwarzen Augen wie Opale funkelten.
Wie vorsichtig er das Rindenstück in der rechten Hand trug! Es war nicht mit Flüssigkeit gefüllt, sondern – wie Bony wußte – mit Pulver. Lautlos schob sich der Eingeborene immer näher an dem scheinbar Schlafenden, der gegen die Versuchung ankämpfte, die Pistole zu heben und abzudrücken. Gewiß, Bony konnte Wandin daran hindern, sein Vorhaben auszuführen, doch dann würde ein anderer die Aufgabe übernehmen, und am Ende entging der Mischling seinem Schicksal doch nicht.
Schließlich stand Wandin dicht vor Bony. Er neigte die Rinde, so daß sich das Pulver wie ein dichter Nebel über Bony senkte. Daß Bony sich weiter schlafend stellte und nicht einfach aufsprang und den schwarzen Zauberer niederschoß, zeugte von seinem Mut und seiner starken Willenskraft. Als Wandin sich zurückzog, begann Bony zu zittern, gab aber weiterhin vor, zu schlafen.
Sein Gefühl hatte ihn also nicht getrogen: die Schwarzen hatten ihm seit Wochen nachgespürt. Das bewies, daß die Kalchut etwas mit Andersons Verschwinden zu tun hatten; und nachdem sie erkannt hatten, daß Bony ihnen gefährlich werden konnte, gingen sie daran, ihn zu beseitigen.
Nach einigen Minuten gab er sich den Anschein aufzuwachen. Er setzte sich, blickte sich um, dann stand er auf und sammelte trockene Zweige, mit denen er das niedergebrannte Feuer anfachte. Er wußte nun, was ihm bevorstand, und fühlte sich wieder stark.
13
Der wirksamste Zauber stammt aus weiter Ferne.
Als die Welt noch jung war und die weißen Menschen vermutlich noch wie die Affen auf Bäumen lebten, verließ
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