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Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)

Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)

Titel: Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saskia Berwein
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sagte ihr, dass es besser war, erst einmal die Position der geduldigen Zuhörerin einzunehmen und Ursula Funke die Möglichkeit zu geben, sich alles von der Seele zu reden.
    »Würden Sie mir aus Ihrer Sicht erzählen, was damals passiert ist?«, fragte Charlotte sanft. »Was dazu geführt hat, dass die Situation derart … eskalierte?«
    Ursula Funke zögerte einen Moment. Vielleicht wollte sie fragen, was die junge Frau auf ihrem Sofa denn schon alles wusste, entschied sich dann aber dagegen. Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll … «
    »Vielleicht bei dem, was Ihrer Tochter zugestoßen ist?«, hakte Charlotte vorsichtig nach.
    Schließlich begann Ursula Funke, zögerlich zu erzählen. »Lena wurde entführt und vergewaltigt … Das wissen Sie vermutlich bereits. Es war ziemlich brutal, sie lag zwei Wochen in der Klinik. Wir … ich habe mit den Ärzten zusammengearbeitet und versucht, Lena eine Stütze zu sein, doch sie hat sich vollkommen zurückgezogen.«
    Eine Träne rann der alten Frau die Wange hinunter, doch sie blieb erstaunlich gefasst. Wie oft mochte ihr diese Geschichte durch den Kopf gegangen sein, wie oft mochte sie sie in den letzten fünfundzwanzig Jahren erzählt haben?
    »Es war nicht einfach. Sie war nur noch aggressiv, verweigerte den Gehorsam, ging nicht mehr zur Schule, alles war anders … Sie hatte auch Angst, weil der Kerl, der ihr das angetan hatte, noch frei herumlief. Ich weiß von der Polizei, dass sie überzeugt war, dass er sie hatte umbringen wollen. Und dass sie nur hatte fliehen können, weil er gestört wurde.«
    Ursula Funke schüttelte den Kopf. »Wir konnten damit nicht umgehen. Wir wussten damals nichts über Therapien, und unser Pastor überzeugte mich davon, dass es das Beste sei, wenn Lena sich Gott zuwenden würde … Ich weiß, dass wir sie nicht hätten zwingen sollen, aber wir waren so hilflos … Und als es dann noch hieß, sie sei schwanger … Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie verzweifelt wir waren … Lena wollte unbedingt abtreiben. Wir waren strikt dagegen. Ich bin sehr streng und gläubig erzogen worden. Für uns kam das nicht infrage. Sie sollte das Kind austragen, es zur Adoption freigeben … «
    Die alte Frau stockte. »Es war alles eine so furchtbare Situation … Wir wollten, dass sie das Angebot unseres Pastors annahm und ins Kloster ging. Eine Zeit lang, während der Schwangerschaft … «
    Charlotte spürte mit jedem Satz, wie der Kloß in ihrem Hals weiter nach unten rutschte, sich in den Tiefen ihrer Eingeweide verfestigte und zu glühen begann. Es fiel ihr schwer, die Wut über dieses engstirnige Verhalten ihrer Großeltern nicht nach außen dringen zu lassen.
    Dass ihre Mutter sie in einer derartigen Situation hatte abtreiben wollen, war mehr als nur verständlich.
    In diesem Moment änderte sich Charlottes Haltung zu ihrer Mutter schlagartig. Der Groll, den sie ein Leben lang ihr gegenüber empfunden hatte, fand in den beiden alten Leuten ein neues Ziel. Ihre Reue spielte für sie kaum eine Rolle. Sie hatten ihre Tochter nicht nur alleingelassen, sie hatten auch versucht, ihr Bürden aufzuerlegen, die eine Siebzehnjährige unmöglich tragen konnte.
    Es mochten andere Zeiten damals gewesen sein, aber 1986 war verdammt noch mal nicht das Mittelalter!
    Charlotte biss die Zähne aufeinander und kämpfte um einen neutralen Gesichtsausdruck. »Ihre Tochter ist fortgelaufen?«, mutmaßte sie.
    »Nein, nicht direkt fortgelaufen, aber sie wandte sich an die Behörden in Karlsruhe, ans Jugendamt. Und die nahmen sie, wohl auch in Rücksprache mit der Polizei, in ein spezielles Programm auf, so eine Art Opferschutz und Rehabilitation … Sie war fast achtzehn.«
    Ursula Funke schüttelte erneut den Kopf und starrte auf die Tischplatte. Mit dem Finger zog sie die auf die Decke gestickten Muster nach. »Eines Tages war sie einfach fort. Wir bekamen ein Schreiben, in dem man uns darüber informierte, dass uns das Sorgerecht entzogen worden sei und unsere Tochter sich für eine neue Identität entschieden habe. Sie wünsche keinerlei Kontakt zu uns.«
    Unvermittelt brach die alte Frau in Tränen aus und fügte unter Schluchzen hinzu: »Wir wissen nicht, was aus ihr geworden ist … Oder aus dem Kind … Es ist so schrecklich … Wir haben eine derartige Schuld auf uns geladen … «
    Charlotte blieb stumm. Sie wusste, die Frau erwartete Mitleid, hoffte vielleicht sogar auf eine tröstende Geste, doch sie blieb

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