Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
zurückkehrte. »Sein Sohn Melchior war etwas älter als Lena. Die Polizei mutmaßte eine Zeit lang, er könnte die Gasexplosion ausgelöst haben. Aber ich habe das immer für Unsinn gehalten. Er war doch so ein netter Junge.«
Ein netter Junge. Sicher doch. Ein netter Junge, der ihre Mutter möglicherweise vergewaltigt und getötet hatte. Und fünf weitere Frauen.
»Wissen Sie, er hat Lena eine Weile schöne Augen gemacht, aber sie hat ihn nicht gewollt. Sie sagte immer, er sei ein merkwürdiger Typ, fast schon unheimlich. Aber ich fand ihn nett.«
Charlotte bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch es gelang ihr nicht, ihr rasendes Herz unter Kontrolle zu bekommen. »Sie haben mir sehr geholfen«, presste sie mühsam hervor. »Danke.«
Sie floh förmlich aus der Wohnung und auf die Straße hinaus. Noch bevor ihr klar war, dass sie so schnell wie möglich nach Hause zurückwollte, egal, was es kostete, tippte sie die Nummer der Taxizentrale in ihr Handy, die sie von der Fahrerin am Morgen erhalten hatte.
Sie bestellte einen Wagen nach Herzheim. Man sagte ihr, sie müsse sich fünfzehn bis zwanzig Minuten gedulden.
Während sie unruhig die Hauptstraße entlanglief, dachte sie über Melchior Lauer nach. Das Bild stammte von seinem Vater, und er hatte ihre Mutter gekannt. Konnte sie daraus wirklich schließen, dass er der »Künstler« war? Der Serienkiller, der Lemanshain unsicher machte?
Er stand zumindest ganz oben auf der Liste, und ein unbestimmtes Gefühl sagte Charlotte, dass er es war.
Sie wühlte in ihrem Rucksack und fand die Karte von Jennifer Leitner. Sollte sie sie anrufen oder sollte sie warten, bis sie zurück in Lemanshain war?
Gerade hatte sich Charlotte entschlossen, sie sofort zu benachrichtigen, als das Taxi eintraf. Sehr viel früher als angekündigt, aber ihr konnte es nur recht sein. Der Fahrer hielt neben ihr an, und da sie nicht einmal mehr Zeit damit verschwenden wollte, um das Fahrzeug herumzugehen, sprang sie auf den Rücksitz.
Spontan entschied sie sich für eine weitere Zeitoptimierung, auch wenn das zusätzliche Kosten bedeutete. »Zum Karlsruher Bahnhof, bitte.«
Der Fahrer sagte kein Wort und fuhr los.
Charlotte hatte noch immer ihr Telefon in der Hand und zögerte, dann wählte sie jedoch die Mobilfunknummer von Jennifer Leitner. Es klingelte zweimal, dann sprang die Mailbox an. Unwillkürlich fragte Charlotte sich, ob die Kommissarin ihren Anruf weggedrückt hatte.
Zuerst war sie versucht aufzulegen, entschied sich dann aber doch anders.
»Hier spricht Charlotte Seydel. Ich bin gerade in Herzheim und auf dem Rückweg. Ich habe etwas Wichtiges über meine Mutter herausgefunden und vielleicht sogar über den Mörder. Überprüfen Sie unbedingt den Namen … «
Weiter kam Charlotte nicht mehr. Der Fahrer machte eine ruckartige Bewegung. Sie sah nicht, was er tat, spürte nur, dass er ihr etwas ins Gesicht sprühte.
Pfefferspray. Die Schärfe nahm ihr den Atem und ließ sie würgen. Ihre Augen schienen in Flammen zu stehen.
Sie ließ das Handy fallen und griff sich an die Kehle. Sie hörte die Bremsen quietschen, das Taxi kam abrupt zum Stehen. Durch einen Schleier aus Tränen und Schmerz sah sie, wie sich der Fahrer zu ihr umdrehte. Dann drückte er ihr einen Lappen auf Mund und Nase, der mit irgendetwas getränkt war.
Der scharfe Geruch der Flüssigkeit erreichte nicht einmal mehr ihr Bewusstsein, bevor sie in Ohnmacht fiel.
20
Das Haus, in dem Melchior Lauer wohnte, lag am äußeren Rand von Lemanshain. Die Straße war von freistehenden Ein- und Zweifamilienhäusern gesäumt, die in den sechziger und siebziger Jahren erbaut worden waren und über große Gärten verfügten. Direkt hinter den Gärten der Häuserreihe auf der rechten Seite erhob sich ein dicht bewaldeter Hang.
Melchior Lauer war Eigentümer eines Hauses, das an einer Biegung am Ende der Sackgasse lag. Der Garten sah verwildert aus und schien mit dem Wald zu verschmelzen. Vor dem Haus standen dichte Büsche und Bäume, die den Blick auf die hellgelbe Fassade weitgehend versperrten.
Zu ihrer Überraschung hatten Jennifer und Grohmann bei ihren Recherchen herausgefunden, dass das Haus tatsächlich Lauer gehörte und vollständig abbezahlt war. Nachdem die Ermittlungen gegen ihn im Zusammenhang mit dem Tod seiner Eltern eingestellt worden waren, hatte man ihm ihre Lebensversicherungen ausbezahlt.
Anscheinend hatte die Versicherung nicht versucht, sich um die Auszahlung zu drücken und es auf einen
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