Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
mehr beizutragen hatte – aus falsch verstandener Solidarität, wie Jennifer annahm. Seine Anwesenheit störte sie aber auch nicht. Der Tag hatte gezeigt, dass sie sehr gut miteinander arbeiten konnten. Bis auf den einen oder anderen Punkt, bei dem sie nicht einer Meinung waren, bildeten sie kein schlechtes Team. Jennifer vermisste nicht einmal Marcel, was wohl Beweis genug war.
Es war weit nach zehn, als sie endlich ihren Rechner herunterfuhr und sich die Umzugskiste mit Katharina Seydels Habseligkeiten schnappte.
Sie rechnete es Grohmann hoch an, dass er gar nicht erst versuchte, sie davon abzubringen, dass sie die Arbeit mit ins Wochenende nahm. Eine Lektion über sie hatte er offenbar bereits gelernt.
Als sie an ihm vorbeigehen wollte, trat er ihr trotzdem in den Weg und streckte die Arme nach der nicht gerade leichten Kiste aus. »Darf ich?«, fragte er mit einem Lächeln, das eigentlich keinen Widerspruch duldete.
Sie verweigerte sich ihm dennoch. »Ich packe das schon.«
»Sie haben aber etwas Wichtiges vergessen.«
Jennifer runzelte die Stirn und sah ihn fragend an. »Was denn?«
Grohmann trat an ihren Schreibtisch und hob den Stapel mit den Berichten hoch, die Freya Olsson ihr gestern Morgen gegeben hatte. Sie hatte sie heute mehrfach daran erinnert, das Gegenlesen und Abzeichnen nicht zu vergessen.
»Ach, verdammt! Wären Sie so freundlich?«
Der Staatsanwalt konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Sicher.«
Schweigend beobachtete er Jennifer dabei, wie sie sich wenig später mit der Kiste abmühte, während sie versuchte, die Bürotür hinter ihnen abzuschließen. Das gleiche Spiel wiederholte sich an ihrem Auto, doch Jennifer blieb standhaft. Sie wollte ihm auf keinen Fall die Genugtuung gönnen, dass sie ihm den Karton doch noch überließ.
Als die Kiste endlich in ihrem Kofferraum verstaut war, reichte ihr Grohmann mit einer lässigen Geste die Papiere. Seine blaugrauen Augen blitzten schelmisch auf, als sie ihm den Stapel mehr oder weniger aus der Hand riss und einfach zu der Kiste warf. »Danke.«
»Sollten Sie mit Ihrer Wochenendarbeit nicht ein klein wenig sorgfältiger umgehen?«
Jennifers Blick steinigte ihn für seine Bemerkung, das Zucken ihrer Mundwinkel verriet sie allerdings. Noch ein Pluspunkt für ihn, wie sie in Gedanken feststellte: Sie hatten einen ähnlich gelagerten Humor. »Übertreiben Sie es nicht. Sonst verpflichte ich Sie noch dazu, das Wochenende mit mir und diesen Papieren zu verbringen.«
»Ich kann mir Schlimmeres vorstellen. Schlimmer als die Papiere, meine ich.«
Sie hatte heute schon mehrfach daran gedacht, ihn zu fragen, ob er ihr bei der Sichtung von Katharina Seydels Habseligkeiten nicht Gesellschaft leisten wollte. Vier Augen sahen für gewöhnlich mehr als zwei. Kai würde nicht begeistert sein, aber wenigstens konnte er ihr dann nicht mehr vorwerfen, die Einzige zu sein, die freiwillig Wochenenddienst leistete. »Dann sind Sie hiermit offiziell eingeladen. Morgen früh, zehn Uhr, Marie-Curie-Straße 5. Bringen Sie Frühstück mit.«
Grohmann dachte kurz darüber nach, dann schüttelte er jedoch bedauernd den Kopf. »Ein andermal gerne. Meine Wochenenden sind mir nur selten wirklich heilig, aber diese Woche kann ich meine Bandkollegen nicht hängen lassen.«
»Ihre Bandkollegen?«, fragte Jennifer überrascht. Einen Musiker hatte sie nicht in ihm vermutet. Sie wollte gerade zu einer weiteren Frage ansetzen, als ihr Handy klingelte. Es war Kai. Einen kurzen Moment lang war sie unschlüssig, ob sie das Telefonat überhaupt entgegennehmen sollte.
Grohmann nahm ihr die Entscheidung ab. »Gehen Sie ruhig ran. Wir sehen uns Montag.« Dann drehte er sich um und machte sich auf den Weg zu seinem Auto, das am anderen Ende des Geländes parkte.
Jennifer drückte die Annahmetaste. »Ja, was ist?«
»Wieso so gereizt?«, fragte Kai verblüfft. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Ja, schon, sorry … « Sie sah noch immer dem Staatsanwalt hinterher. Eine Band? Ernsthaft? »Wir sehen uns gleich. Ich habe die Freisprecheinrichtung nicht an.«
Eine glatte Lüge, die ihr wie selbstverständlich über die Lippen kam – und mit der sie die Verbindung unterbrach. Ein Verhalten, das ihr einige Sekunden lang selbst ein Rätsel war.
Dann wurde ihr plötzlich eiskalt bewusst, dass sie jetzt viel lieber Grohmann über seine interessante Freizeitbeschäftigung ausgefragt hätte, als sich mit Kai zu treffen. Sie war sogar verstimmt darüber, dass er ihr durch seinen
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