Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
darauf, zu erfahren, wieso Jennifer ausgerechnet im hessischen Spessart gelandet war. Katia hatte zwar irgendwann aufgegeben, sie direkt danach zu fragen, doch in unregelmäßigen Abständen brachte sie die Thematik trotzdem wieder auf den Tisch. Katia hatte vom ersten Tag an nicht an die offizielle Version geglaubt, die lautete, dass die hochengagierte Beamtin aus Frankfurt aus freien Stücken in das – zumindest damals noch – ruhige und langweilige Städtchen gekommen war, weil sie vom Highlife in der Großstadt entschieden genug hatte.
Natürlich hatte Katia recht. Trotzdem war es ein Kapitel, an das Jennifer nicht unbedingt gerne zurückdachte. Es machte sie noch immer wütend, selbst nach über einem Jahr.
Sie erinnerte sich nur zu genau an den betreffenden heißen Augustmorgen, an dem ihr damaliger Chef sie in sein Büro zitiert hatte. Er hatte sie gemustert mit dem für ihn typischen Blick, bei dem er seine Augenbrauen zu einer einzigen Linie zusammenzog.
»Setzen Sie sich.« Schon sein Tonfall hatte ihr zu verstehen gegeben, dass das kommende Gespräch nicht angenehm werden würde. »Können Sie mir verraten, warum Sie heute anstelle Ihres Kollegen zum Dienst erschienen sind? Hatte ich Sie nicht in Urlaub geschickt?«
»Sie meinten, ich könnte mir Urlaub nehmen«, hatte sie so unschuldig wie möglich erwidert. Natürlich hatte sie gewusst, dass sie gegen eine Anweisung verstoßen hatte. »Es sind Sommerferien. David hat im Gegensatz zu mir Familie. Er braucht den Urlaub wesentlich dringender als ich.«
»Im Gegensatz zu Ihnen hat er aber über die Jahre weder Hunderte Überstunden angesammelt, noch hat er so viele Urlaubstage verfallen lassen wie Sie.«
Jennifer hatte die Schultern gezuckt. »Ich sehe da kein Problem.«
»Ich aber, Leitner, und zwar kein geringes.« Er war sauer gewesen, richtig sauer. Das war der Moment gewesen, in dem sie begriffen hatte, dass sie ihre Bewährung verspielt hatte. Doch noch ahnte sie nicht, welche Folgen das haben würde.
Ihr damaliger Chef hatte eine dünne Aktenmappe hochgehalten. »Wissen Sie, was das ist?«
»Nein.«
»Der Bericht der Psychologin.«
Ein kleiner, kalter Klumpen hatte sich in ihrer Magengegend gebildet. Nach dem Vorfall auf dem Frankfurter Campus, auf den Grohmann bei der Obduktion in der letzten Woche angespielt hatte, hatte ihr Chef darauf bestanden, dass sie einige Termine bei der Polizeipsychologin wahrnahm. Bisher hatte ihr Bericht allerdings noch nicht vorgelegen. »Und?«
Er hatte aufgeseufzt. »Das sollten Sie eigentlich wissen, oder? Sie haben kooperiert, mit ihr gesprochen, doch nur bis zu dem Punkt, der Ihnen genehm war. Allen Fragen, die Ihr Privatleben oder Ihre Persönlichkeit auch nur gestreift haben, sind Sie aus dem Weg gegangen oder haben sie abgeblockt.«
»Ich dachte, das wäre mein gutes Recht. Sie ist schließlich nicht meine Privattherapeutin.«
»Verdammt, Leitner!« Er hatte geschrien, etwas, das bei ihm nur äußerst selten vorgekommen war. »Verstehen Sie denn überhaupt nicht, dass Sie sich nur noch tiefer reinreiten?!«
Sie war einfach nur verblüfft gewesen. In was, zum Teufel, sollte sie sich reinreiten? Es hatte nicht einmal ein offizielles dienstliches Verfahren gegen sie gegeben. Niemand hatte sich ernsthaft darum geschert, ob sie dem Kerl, der über Wochen hinweg Studentinnen angegriffen und sexuell belästigt hatte, den Kiefer in Notwehr oder absichtlich gebrochen hatte.
»Ich habe Sie dort nicht hingeschickt, weil ich Ihnen etwas anhängen will, und ich habe Sie auch nicht zum Spaß angewiesen, sich ein paar Wochen Urlaub zu nehmen. Ich mache mir Sorgen um Sie.«
Sie hatte den Mund geöffnet und wieder geschlossen. Wo sollte dieses Gespräch eigentlich hinführen?
»Sie sind eine verdammt gute Polizistin, und ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, Ihren Einsatz nicht zu schätzen. Aber Sie gehen viel zu weit. Sie brennen nicht nur an zwei Enden, Sie stehen komplett in Flammen. Seit Monaten, seit Jahren.« Er hatte den Kopf geschüttelt. »Das wird nicht auf ewig gut gehen. Und dieser kleine Vorfall auf dem Campus ist der beste Beweis dafür.«
»Das ist doch … «
»Unterbrechen Sie mich nicht! Ich weiß, dass Sie das anders sehen. Wissen Sie, ich hatte gehofft, dass die Psychologin vielleicht dahinterkommen würde, wieso Sie nur für Ihre Arbeit leben. Und dass sie eine Strategie entwickeln könnte. Doch sie ist genau wie ich und jeder andere hier gegen eine Betonmauer gerannt.«
»Ich
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