Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Widerruf Ihrer Bewährung bedeuten würde, oder?«
Mist! Daran hatte Charlotte noch gar nicht gedacht. Falls sie ihr Studium abbrach, ohne eine andere Perspektive vorweisen zu können, würde sie vermutlich recht schnell in den Knast wandern. Ihre Wut fiel mit einem Mal wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Die plötzliche Erkenntnis stand ihr wohl ins Gesicht geschrieben, denn die Psychologin wechselte abrupt das Thema. »Liegt Ihnen sonst noch irgendetwas auf dem Herzen?«, fragte sie.
Normalerweise hakte sie nicht so oft nach. Charlottes Misstrauen war sofort geweckt. Alina Noack wollte auf irgendetwas hinaus.
»Wir könnten über Ihre Mutter sprechen.«
»Das haben wir doch wohl schon oft genug getan.«
Dann ließ die Psychologin die Bombe platzen. »Aber nicht, seitdem Sie wissen, dass sie tot ist.«
Charlottes Miene erstarrte. »Wer hat Ihnen davon erzählt?«
»Frau Seydel, Sie wissen doch genau, wie das abläuft. Die Kripo redet mit Ihnen, dann rufen die Beamten bei Ihrer Bewährungshelferin an, und die wiederum informiert mich über das, was passiert ist.« Sie zuckte die Schultern.
Charlotte knirschte mit den Zähnen, und ihre Finger gruben sich in das weiße Leder des Sofas. Diese verdammten Vollidioten! Leitner und ihr Kompagnon hatten tatsächlich ihre Bewährungshelferin über den Tod ihrer Mutter informiert?!
»Das scheint Sie wütend zu machen«, stellte ihre Therapeutin ungerührt fest.
Und ob es das tat! Hatte Alina Noack etwas anderes erwartet? Charlotte biss die Zähne noch fester aufeinander. Alles, was jetzt aus ihrem Mund kommen würde, wäre eine Tirade übelster Beschimpfungen.
Die Psychologin machte sich eine Notiz, ohne jedoch den Blick von ihrer Patientin zu nehmen. War das wirklich Zufriedenheit, was Charlotte in ihren Augen sah?
»Niemand will Ihnen etwas Böses, Frau Seydel. Weder die Polizeibeamten noch Ihre Bewährungshelferin noch ich. Dieser Informationsaustausch dient ausschließlich dazu, Ihnen zu helfen.«
Ja, sicher doch. Was Alina Noack anging, wollte Charlotte daran glauben, alle anderen standen aber auf ihrer schwarzen Liste.
»Wir haben noch Zeit. Wollen Sie wirklich nicht über den Tod Ihrer Mutter sprechen? Was löst diese Gewissheit in Ihnen aus?«
Sekunden vergingen, in denen Charlotte bemüht war, ihren Zorn in den Griff zu bekommen. »Sie ist weg. Es hat sich nichts geändert. Sie ist nicht mehr da, aber das war sie ja noch nie, irgendwie … « Sie zuckte die Schultern.
Die Psychologin nickte. Sie verstand. »Haben Sie mit irgendjemandem darüber gesprochen?«
Charlotte blockte erneut ab. Alina Noack versuchte, etwas intensiver nachzubohren, doch aus der jungen Frau war nichts mehr herauszubekommen. Die Therapeutin verlor den Kampf, doch sie nahm es sportlich.
»Es ist schade, dass Sie nicht darüber sprechen möchten, aber Sie machen trotzdem sehr erfreuliche Fortschritte.«
Charlotte hatte nicht den Eindruck, dass sie irgendeine Art von Entwicklung zeigte, doch sie widersprach nicht. Sie fühlte sich noch immer in einer Sackgasse gefangen, aus der es kein Entrinnen gab.
»Ich bin zuversichtlich, dass Sie die nächsten beiden Wochen auch sehr gut ohne mich zurechtkommen werden.«
Charlotte hob ruckartig den Kopf. »Wie bitte?«
»Das haben Sie nicht vergessen, oder?«, fragte Alina Noack. »Die nächsten beiden Wochen bin ich im Urlaub.«
Charlotte öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Das hatte sie vollkommen verdrängt. Ein plötzliches Gefühl der Verzweiflung ergriff von ihr Besitz. Was, wenn sie ihre Therapeutin in diesen zwei Wochen unbedingt brauchte? Wie sollte sie das überstehen?
Ihre plötzliche Niedergeschlagenheit blieb der Psychologin nicht verborgen. »Sie können sich während meines Urlaubs jederzeit an die psychiatrische Ambulanz in Hanau wenden. Ich glaube aber nicht, dass das notwendig sein wird. Machen Sie sich einfach nur bei jeder Ihrer Entscheidungen die Folgen Ihres Handelns bewusst. Und zwar, bevor Sie handeln.«
Das übliche Mantra. Charlotte kannte es in- und auswendig. Würden ihr diese guten Ratschläge jemals wirklich helfen? Sie bezweifelte es.
Als Jennifer und Grohmann am Freitagabend von der letzten Befragung ins Präsidium zurückkehrten, war es bereits kurz vor neun. Trotzdem checkte Jennifer noch einmal die eingegangenen Nachrichten und hämmerte eine letzte Zusammenfassung der dürftigen Ergebnisse des Tages in den Computer.
Der Staatsanwalt blieb ebenfalls noch im Büro, obwohl er effektiv nichts
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