Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Augen deiner Mutter.«
Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch wurde zu einem schmerzhaften Krampfen.
StudiPr@etorius: »Willst du mit mir spielen? So wie ich mit deiner Mutter gespielt habe?«
Charlotte starrte reglos auf den Bildschirm. Übelkeit stieg in ihr auf, verwandelte sich jedoch unvermittelt in Wut. In heißen, beinahe schmerzvollen Zorn, der ihr Tränen in die Augen trieb. Sie biss die Zähne aufeinander.
»Du Bastard«, flüsterte sie. Dann schlug sie mit einer einzigen Bewegung das Notebook zu, schnappte sich ihren Rucksack, stopfte den Computer hinein und rannte aus der Bibliothek. Die Bücher blieben auf dem Tisch zurück.
Sie spürte, wie ihr Herz lautstark gegen ihren Brustkorb hämmerte, und ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handflächen. Die Wut schnürte Charlotte schier die Kehle zu, und sie hastete nach draußen. Auf der Treppe des alten Gebäudes nahm sie mehrere tiefe Atemzüge. Die Luft roch schwer nach Herbstblumen.
Sie setzte bewusst einen Fuß vor den anderen und versuchte dabei, ihre Konzentration auf die Geräusche in ihrer Umgebung und fort von ihrer Wut zu lenken. Sie wusste, was sie in diesem Moment am liebsten getan hätte, worauf sich jede Faser ihres Körpers vorbereitete, was sie aber nicht tun durfte. Auf keinen Fall durfte sie zulassen, die Beherrschung zu verlieren.
Es fiel ihr schwer, vielleicht schwerer als jemals zuvor. Doch sie schaffte es bis zur Bushaltestelle und zwang sich schließlich auch erfolgreich, in den Bus zu steigen, der sie nach »Garten Eden« zurückbringen würde.
Die Fahrt half ihr, sich etwas zu beruhigen, doch noch war sie weit davon entfernt, ihren Zorn zur Gänze zu kontrollieren. Mehrfach hielt sie ihr Handy unschlüssig in Händen, nur um es dann doch wieder wegzustecken.
Keine weiteren Reize. Jeder Reiz mehr konnte das Fass zum Überlaufen bringen.
Zu Hause angekommen, warf sie ihren Rucksack achtlos aufs Bett. Die Decke lag noch genauso ungeordnet auf der Matratze wie am Morgen, als sie aufgestanden waren.
Sie konnte Joshua noch immer riechen. Seinen Körper, sein Aftershave, den Schweiß und ihre Vereinigung.
Wütend riss sie die Fenster beim Bett und am anderen Ende des Wohnwagens bei der Sitzgruppe auf. Es fehlte nicht viel und sie hätte an einem der Fenster den Hebel abgerissen.
Als endlich frische Luft hereinströmte, ließ sich Charlotte auf die Sitzbank fallen und vergrub das Gesicht in beiden Händen.
Wie hatte sie sich nur derart irren können? Wie konnte dieser Idiot ihr das antun? Wusste er überhaupt, was er getan hatte, oder fand er die ganze Sache vielleicht sogar noch witzig?
Verdammter Scheißkerl! Er war kein bisschen besser als ihr letzter Freund von der Uni, eher noch schlimmer. Wie konnte er es nur wagen, ihre Mutter zu erwähnen …
Charlotte wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass er ihre Mutter tatsächlich gekannt haben könnte, auf diese Art und Weise … Ob er sie, Charlotte, womöglich nur deshalb angesprochen hatte, weil er wusste, dass sie die Tochter seiner bevorzugten – und jetzt toten – Prostituierten war?
Sie war versucht, ihn anzurufen und anzubrüllen. Andererseits würde sie ihm damit vielleicht nur in die Hände spielen, weil es genau das war, worauf er es abgezielt hatte. Irgendwelche Beteuerungen wollte sie ebenfalls nicht hören. Oder gar Ausflüchte oder die Behauptung, er habe damit nichts zu tun. Er war der Einzige, der infrage kam.
Joshua zu konfrontieren würde nur eher dazu führen, dass sie ihren Aggressionen nachgab und tat, wonach es sie am meisten in diesen Momenten verlangte: zuzuschlagen und irgendeinen Knochen brechen zu hören.
Charlotte lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Sie musste runterkommen, sich erst einmal beruhigen. Sie musste tief durchatmen, bis hundert oder noch besser bis tausend zählen. Sich ganz von den Geschehnissen abwenden und morgen oder am besten erst nach dem Wochenende erneut darüber nachdenken.
Als sie die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf das Fotoalbum, das in der Mitte des Tisches lag.
Charlotte stutzte. Sie erinnerte sich noch genau daran, dass sie das Album am Morgen auf die Ablage beim Fenster gelegt hatte. Oder doch nicht? Auf einmal war sie sich nicht mehr sicher.
Ein unangenehmes Kribbeln lief ihre Wirbelsäule hinunter.
Sie sah sich im Wohnwagen um. Erst ließ sie den Blick nur über die altbekannte Einrichtung schweifen, dann schaute sie genauer hin.
Das Bett mit dem Schränkchen daneben, der Schrank,
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