Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Vorsätze innerhalb kürzester Zeit ins Wanken gebracht. Zwar würde sie nichts überstürzen, doch tief in ihr keimte die leise Hoffnung, dass sich mit ihm etwas Längerfristiges ergeben würde. Sie mochte ihn. Zu seiner besonderen Ausstrahlung und seinem Mut waren in der Nacht noch ein paar andere Qualitäten gekommen, die sie mehr als nur zu schätzen wusste. Hoffentlich würde er am Wochenende Zeit für sie finden – und wenn es nur für eine Stunde wäre …
Charlotte musste unwillkürlich grinsen, aß den Rest von ihrem Sandwich und wandte sich wieder ihren Büchern zu.
Sie arbeitete noch nicht wieder eine halbe Stunde, als sie auf ein blinkendes Icon auf ihrem Bildschirm aufmerksam wurde. Jemand hatte ihr über Skype eine Nachricht geschickt.
Charlotte runzelte die Stirn und legte den Block mit den Indexklebern beiseite, die sie zum Markieren von Seiten benutzte, die sie später kopieren wollte.
Sie war schon eine halbe Ewigkeit mit niemandem mehr über Skype in Kontakt getreten. Ein Wunder, dass das Programm überhaupt noch auf ihrem Notebook installiert und aktiv und sie darüber hinaus auch noch angemeldet war.
Als sie sich vorbeugte und nach der Maus griff, spürte sie, wie ihr Magen einen kleinen, hoffnungsvollen Satz machte. Sie seufzte leise. Das musste sie möglichst bald in den Griff bekommen, sonst wäre auch ihre Absicht, es mit Joshua zumindest auf der Gefühlsebene langsam anzugehen, schnell dahin.
Ein Doppelklick auf das Icon öffnete das Programm.
»Hallo, Charlie.«
Die Nachricht stammte von einem User mit dem Namen StudiPr@etorius. Sie kannte ihn nicht. Der Name war nicht sehr aussagekräftig. Jemand, der anonym bleiben oder sich zumindest die Option offenhalten wollte. Jemand, der anscheinend an der Praetorius-Universität studierte. Josh? Irgendjemand anderes? Seinem Profil war nicht mehr als sein Skype-Name und seine bevorzugte Sprache zu entnehmen.
Zumindest jemand, der ihren Namen kannte, sonst hätte sie ihn sofort geblockt. Es kam immer mal wieder vor, dass Leute Fremde anschrieben. Meist ging es darum, ihnen irgendwelche kostenpflichtigen Dienste anzubieten. Wer aber war StudiPr@etorius? Zurückzuschreiben konnte jedenfalls nicht schaden.
CharlieHarperRocks schrieb: »Hi.«
StudiPr@etorius antwortete: »Hey.«
CharlieHarperRocks: »Who’s there?«
StudiPr@etorius: »Niemand und jeder.«
Ihr fiel in ihrem engeren und weiteren Bekanntenkreis niemand ein, der einen Hang zu solch tiefschürfenden Antworten hatte. Wer auch immer es war, schien Spielchen spielen zu wollen. Sie hatte keinerlei Verlangen danach.
CharlieHarperRocks: »Keine Zeit. Also?«
Sie würde ihm nur noch maximal zwei Nachrichten einräumen, um ihr Interesse zu wecken. Er schaffte es allerdings bereits mit der nächsten.
StudiPr@etorius: »Du hattest deinen Spaß letzte Nacht.«
Charlotte runzelte die Stirn. Josh? Dennis oder Gisèle?
StudiPr@etorius: »Schlampe.«
Überrascht starrte sie auf den Bildschirm. Über einen Chat übermittelt klang das Wort hart und herablassend. Allerdings kannte sie mindestens zwei Personen, die sie in einem leidenschaftlichen Moment auch schon so genannt hatten.
StudiPr@etorius: »Du magst Jasmin und Bergamotte, oder?«
Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht. Eindeutig Joshua. Doch wie kam er dazu, sie als Schlampe zu bezeichnen? Einen Moment lang war sie versucht, verärgert zu reagieren, dann fiel ihr jedoch ein, dass sie in der letzten Nacht durchaus ein paar Dinge getan hatte, die diesen Ausdruck durchaus rechtfertigten.
Der Gedanke beschäftigte sie lange genug, um ihren Gesprächspartner seine nächste Nachricht übermitteln zu lassen.
StudiPr@etorius: »Bestimmt magst du die schweren, süßen Düfte. Alle Schlampen mögen es schwer, blumig und süß.«
Charlotte begann, eine Antwort zu schreiben. Es musste Joshua sein.
Sein Tonfall gefiel ihr jedoch überhaupt nicht.
Doch noch bevor sie ihre Antwort absenden konnte, erschien bereits die nächste Nachricht auf dem Bildschirm.
StudiPr@etorius: »Ich sehne mich nach deinem Duft. Du riechst jetzt wie sie.«
Wie sie ? Ein mulmiges Gefühl beschlich Charlotte. Wen meinte er?
StudiPr@etorius: »Bald schon … bald wieder … Bis dahin muss ich mich noch mit deinem Anblick begnügen.«
Charlotte hob den Kopf und sah sich um. Es war eine reflexartige Reaktion und vollkommen sinnlos, denn sie wusste, dass es nichts und niemanden zu sehen gab, mit Ausnahme von Regalen und Büchern.
StudiPr@etorius: »Du hast die
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