Todeszeit
Lieutenant Taggart. Erst hat er mir erzählt, sie wäre entführt worden und er wäre gekommen, um mich um Geld zu bitten, aber dann hat er zugegeben, dass er sie ermordet hat.
Taggart wusste, dass Jason Osteen seinen Lebensunterhalt nicht auf ehrliche Weise verdient hatte. Von Jasons Freundin hatte er erfahren, dass die beiden an irgendeinem krummen Ding beteiligt gewesen waren, bei dem Anson seine Komplizen übers Ohr gehauen hatte. Eigentlich war also klar, mit wem man es zu tun hatte.
Wenn Anson nun jedoch eine Geschichte erzählte, die der von Mitch widersprach, dann würde Taggart zumindest darüber nachdenken. Schließlich bekam man als Polizist ständig sich widersprechende Geschichten zu hören, und meistens lag die Wahrheit irgendwo in der Mitte.
Diese Wahrheit zu finden, würde Zeit brauchen, und die Zeit nagte an Mitchs Nerven wie eine Ratte. Er spürte, wie sich die Schlinge um Hollys Hals mit jeder Minute enger zusammenzog.
Der Schlüssel fand die Öffnung. Mit einem Klicken schnappte der Riegel zurück.
Auf der Schwelle stehend, schaltete Mitch das Licht an. Eine lange, verschmierte Blutspur war auf dem Boden zu sehen, die ihn bislang aber nicht bekümmert hatte. Nun jedoch schrak er zusammen.
Als Anson die Pistole an den Schädel gekriegt hatte, war über seinem Ohr die Haut geplatzt. Die Blutspur war entstanden, als Mitch ihn in die Waschküche gezerrt hatte.
Die Wunde war harmlos gewesen. Leider änderte das nichts daran, dass das Blut auf dem Boden etwas Schlimmeres vermuten ließ als eine Platzwunde.
Durch solche irreführenden Spuren entstanden Zweifel und Argwohn.
Die dahinjagende Zeit löste die Feder, die sich in Mitch bis zum Anschlag gespannt hatte, und während er die Küche betrat, knöpfte er einen Knopf seines Hemds auf, griff hinein und zog unauffällig den Taser heraus, der unter dem Hosenbund steckte. Er hatte die Waffe aus dem Fach in der Fahrertür geholt, als er noch kurz im Wagen sitzen geblieben war.
»Zur Waschküche geht es da lang«, sagte Mitch und ging einige Schritte voraus, bevor er sich plötzlich umdrehte und den Elektroschocker hob.
Der Lieutenant folgte ihm nicht so unmittelbar, wie Mitch gedacht hatte. Er hielt sich klugerweise zwei Schritte zurück.
Manche Taser schossen zwei mit Drähten verbundene Pfeile ab, durch die man sein Opfer aus mittlerer Entfernung außer Gefecht setzen konnte. Bei anderen Typen musste das vordere Ende in direkten Kontakt mit dem Ziel gebracht werden, wodurch der Vorgang einem Messerangriff ähnelte.
Dies war das zweite Modell, weshalb Mitch rasch näher an den Lieutenant herankommen musste.
Während er einen Schritt vorwärts tat und den rechten Arm hob, blockte Taggart mit seinem linken Arm ab. Fast
wäre der Taser Mitch dadurch aus der Hand geschlagen worden.
Zurückweichend griff der Lieutenant mit der rechten Hand in sein Sportsakko. Bestimmt wollte er seine in einem Schulterholster steckende Waffe zücken.
Während Taggart weiter zurückwich, täuschte Mitch mit der Linken an, um rechts freie Bahn zu haben, aber da kam schon die Hand mit der Waffe unter der Jacke hervor. Mitch wollte an die bloße Haut, damit der Stoff der Kleidung den Elektroschock nicht milderte, und tatsächlich erwischte er den Lieutenant am Hals.
Taggart verdrehte die Augen, bis nur noch deren Weiß zu sehen war. Mit heruntergeklapptem Kiefer drückte er einmal ab, bevor seine Knie nachgaben und er zu Boden fiel.
Der Schuss kam Mitch ungewöhnlich laut vor. Er erschütterte den ganzen Raum.
56
Mitch war nicht verwundet, aber er dachte an John Knox, der sich beim Sturz vom Dachboden der Garage selbst erschossen hatte. Besorgt kniete er sich neben den Lieutenant.
Auf dem Boden lag noch die Pistole. Mitch wischte sie beiseite, sodass sie außer Reichweite war.
Taggart zitterte, als wäre ihm eiskalt. Seine Hände krallten nach den Bodenfliesen, auf seinen Lippen hatten sich Speichelbläschen gebildet.
Schwach, dünn und beißend stieg ein Rauchfaden aus Taggarts Sakko auf. Die Kugel hatte ein Loch hineingebrannt.
Mitch öffnete den Sakko, um nach einer Wunde zu suchen. Er fand jedoch keine.
Die Erleichterung, die er verspürte, munterte ihn nicht besonders auf. Schließlich hatte er sich des tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten schuldig gemacht.
Dies war das erste Mal, dass er einem unschuldigen Menschen wehgetan hatte. Reue hatte, wie er feststellte, tatsächlich einen Geschmack – eine Bitterkeit, die hinten in der Kehle nach
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