Todeszeit
Bäume. Ein Flickenteppich aus Licht und Schatten wogte über das nahende Fahrzeug, das dadurch nur schwer zu identifizieren war.
Auf den nach Norden führenden Spuren der Küstenstraße pflügte ein Streifenwagen durch den Verkehr. Den Weg bahnte er sich nur mit dem Blinklicht, die Sirene war ausgeschaltet.
Inzwischen war das gefährlich aussehende Fahrzeug im Rückspiegel so nahe gekommen, dass Mitch die Aufschrift über der Windschutzscheibe lesen konnte. Es handelte sich um einen Krankenwagen, der offensichtlich nicht in Eile war. Entweder waren die Sanitäter außer Dienst, oder sie transportierten eine Leiche.
Mitch stieß den angehaltenen Atem aus. Als der Krankenwagen hinter ihm zum Stehen kam, war es mit der Erleichterung auch schon vorbei, denn er fragte sich sofort, ob die Sanitäter wohl den Polizeifunk abhörten.
Die Ampel schaltete auf Grün. Er überquerte die nach Süden führenden Spuren und bog linker Hand nach Norden ab.
Eine Schweißperle nach der anderen rann ihm am Nacken hinab unter den Kragen und weiter am Rückgrat entlang.
Auf der Küstenstraße hatte er erst eine Kreuzung überquert, als hinter ihm eine Sirene aufheulte. Diesmal tauchte im Rückspiegel ein Streifenwagen auf.
Nur Narren lieferten sich ein Wettrennen mit der Polizei. Die verfügte nicht nur über massenhaft Fahrzeuge am Boden, sondern auch über Unterstützung in der Luft.
Mitch gab sich geschlagen und lenkte den Wagen an den Straßenrand. Er hatte kaum den Weg freigemacht, als der Streifenwagen auch schon an ihm vorbei- und davonraste.
Vom Bordstein aus beobachtete Mitch, wie das rote Blinklicht an der übernächsten Kreuzung vom Highway verschwand. Der Streifenwagen bog nach links in den nördlichen Teil des Village ein.
Offenbar hatte Taggart sich noch nicht genügend von dem Elektroschock erholt, um seinen Kollegen eine Beschreibung des Hondas zu liefern.
Mitch holte ganz tief Luft, einmal und ein zweites Mal. Er wischte sich mit der Hand den Schweiß vom Nacken, dann trocknete er beide Hände an seinen Jeans ab.
Er hatte einen Polizeibeamten attackiert.
Während er sich wieder in den nach Norden fahrenden Verkehr einreihte, fragte er sich, ob er eigentlich den Verstand verloren hatte. Er kam zu dem Ergebnis, dass er entschlossen und eventuell auch tollkühn gehandelt hatte, aber nicht kurzsichtig. Freilich konnte jemand, der verrückt geworden war, so etwas gerade wegen seines Zustands nicht korrekt beurteilen.
57
Nachdem Holly den Nagel aus der Bodendiele gezogen hat, dreht sie ihn in ihren steifen, wunden Fingern immer wieder hin und her. Dabei überlegt sie, ob das Ding wirklich so tödlich ist, wie sie gedacht hat, als es noch im Holz steckte.
Mit seinem mehr als acht, aber weniger als zehn Zentimetern langen, ziemlich dicken Schaft eignet sich das Ding durchaus als Waffe. Die Spitze ist zwar nicht so scharf wie die eines Schaschlikspießes, aber scharf genug.
Während der Wind von Gewalt singt, stellt Holly sich eine Weile vor, wie sie den Spieß gegen ihren Peiniger einsetzen könnte. Ihre Fantasie ist so lebhaft, dass sie ihr Sorgen macht.
Da ihr bald gruselt, wechselt sie das Thema. Statt sich die Verwendung des Nagels auszumalen, überlegt sie, wo man ihn verstecken könnte. Falls er überhaupt einen Wert hat, dann nur bei einem Überraschungsangriff.
Wenn sie den Nagel in eine Tasche ihrer Jeans steckt, ist er zwar wahrscheinlich nicht sichtbar, aber womöglich ist sie dann im Notfall nicht in der Lage, ihn rasch genug herauszuziehen. Als man sie hierhergeschafft hat, waren ihre Handgelenke mit einem Schal zusammengebunden. Tut der verbliebene Entführer das wieder, wenn er sie von hier wegbringt, so wird sie nicht in der Lage sein, ihre Hände auseinanderzubringen und die Finger in eine bestimmte Hosentasche zu schieben.
Ihr Gürtel bietet kein Versteck, deshalb betastet sie im
Dunkeln ihre Sneakers, um deren Eignung festzustellen. Im Innern eines Schuhs kann sie den Nagel nicht unterbringen, sonst reibt er sich am Fuß und verursacht Blasen oder Schlimmeres. Vielleicht findet sie jedoch an der Außenseite ein Versteck.
Sie bindet die Schnürsenkel des linken Schuhs auf und schiebt den Nagel vorsichtig zwischen die Mittellasche und ein Seitenteil. Dann schnürt sie den Schuh wieder zu.
Als sie aufsteht und im Kreis um den Ringbolzen geht, an den sie gefesselt ist, stellt sie rasch fest, dass der starre Nagel sie am Gehen hindert. Sie muss zwangsläufig hinken.
Am Ende zieht sie den
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